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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Warum konnte das Hörspiel nicht schon zur Borchertzeit geboren (oder genauer:<br />

wiedergeboren) werden? Warum blieb Draußen vor der Tür gut drei Jahre lang ohne<br />

nennenswerte Nachfolge? Ich habe die Vermutung, es könnte damit zusammenhängen,<br />

daß zwischen 1947 und 1950 eine fast vollständige Solidarität zwischen Hörern und<br />

Rundfunk bestand, die damals auch durchaus notwendig und heilsam war. Ein in die Tiefe<br />

wirkendes Hörspiel muß aber – wie alles Künstlerische, wenn es nicht traditionsloser<br />

Einzelfall, nicht »Volkslied« bleiben soll – mehr sein, als den Hörern und dem Publikum<br />

geradezu »aus der Seele gesprochen«. Eher das Gegenteil. Vermutlich gehört zur<br />

heutigen Funktion der Literatur und entsprechend des Hörspiels, daß sie in hohem Maße<br />

dem Publikum zuwider geschehen, in Auseinandersetzung mit ihm.<br />

Borcherts Wirkung und die Wirkung der Träume unterschieden sich genau in diesem<br />

Punkt: 1947 hatte das Publikum, hatten die Hörer das Gefühl, daß Beckmann – ob nun<br />

gegenüber dem Lieben Gott oder dem General, dem Kabarettdirektor oder Frau Kramer –<br />

immer in ihrem Sinne plädiere, ihr stimmgewaltiger Anwalt sei. So wurde Beckmann<br />

schon Mythos, ehe man ihn als poetische Figur verstand. 1951 bei der Uraufführung der<br />

Träume wurden genau gegenteilige Empfindungen laut. Noch heute existiert, sekretiert im<br />

Hamburger Schallarchiv, das Band, das seinerzeit aus wissenschaftlichen Gründen vom<br />

Ansturm der empörten und beleidigten Höreranrufe mitgeschnitten wurde. Die Flut von<br />

Hörerpost, nicht ganz so umfangreich wie nach Borcherts Stück, aber doch sehr<br />

erheblich, enthielt ebenfalls statt Zustimmung überwiegend Ablehnung.<br />

Zwischen den Sendedaten beider Stücke geschah die Wandlung im Verhältnis der Hörer<br />

zum Rundfunk; sie war zum Teil darin begründet, daß auch eine allgemeine Wandlung<br />

geschehen war: Verzweifelte sind leichter geneigt, sich von Argumenten überzeugen zu<br />

lassen, neunmalschlaue Saturierte aber, wenn sie in ihrer Ruhe gestört werden, lieben es,<br />

zu protestieren. Doch muß man, um die Verschiedenheit der Reaktionen zu würdigen,<br />

sich auch den grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Stücken klarmachen. Es<br />

ist sicherlich gegen den jugendlichen Dichter, der mit seinen zweieinhalb<br />

Lebensjahrzehnten nur Sinnlosigkeit und Vernichtung erlebt hatte, ungerecht, ihm das<br />

Etikett ›Nihilismus‹ aufzukleben, wie das geschehen ist. Aber daß er, gleich den gequälten<br />

Millionen seiner Zeit- und Altersgenossen, nicht nur keine Antwort erhielt, sondern keine<br />

wußte und deshalb ungeduldig gegen alles aufbegehrte, wer will das leugnen? Eichs<br />

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