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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Doch liegt darin natürlich auch die große Gefährdung: verliert sie einmal den<br />

Wirklichkeitsbezug ganz, droht, wie Beispiele lehren, auch die Sprache noch zu zerfallen.<br />

Das Hörspiel ist ein bedeutendes Experiment, das eine Spätzeit anstellt: eng und<br />

bescheiden im Ziel, großzügig in den künstlerischen Mitteln, aber ohne<br />

außerkünstlerische Erschleichnisse. Der Mensch wird auf das Sprechen reduziert: in<br />

seiner Fähigkeit, durch Sprache individuelle Wirklichkeit hervorzubringen, liegen alle jene<br />

Eigenschaften, die ihn von der übrigen Kreatur unterscheiden.<br />

EPILOG / LICHT UND SPRACHE HEBEN DIE SCHWERKRAFT AUF<br />

Wer lange auf einen Punkt schaut, so soll ein tibetanisches Sprichwort lauten, sieht den<br />

Mittelpunkt der Welt. Die Ironie des Satzes ist nicht zu überhören. Sie ermuntert den<br />

vertieften Spezialgelehrten, sein Gesicht über den Zaun des Gärtchens zu heben, das er<br />

bestellt, und sich zu fragen, wie denn sein kleines Viereck sich zum Ackerland ringsum<br />

verhalte, und ob nicht ein Besuch beim Nachbarn lehrreich sei.<br />

Nachdem – um 1300 – die Malerei aus den lyrischen und epischen Goldgründen frommer<br />

byzantinischer Wand- und Buchilluminatoren durch den genialen dramatischen Erzähler<br />

Giotto befreit war, gewannen die Meister schon bald, kaum ein Jahrhundert später, zum<br />

erstenmal das Gefühl für den fast zerreißenden Widerspruch in ihrer Aufgabe: Licht und<br />

Farbe wollen sie in andre Richtung zwingen als die dramatische Körperlichkeit ihrer<br />

kompakten Objekte. Schaut man ins Licht, scheint alles gewichtlos, ertastet man die harte<br />

Kontur, scheint alles zentnerschwer zu werden. Fra Angelico malte Blumenwiesen, die für<br />

Engel zum Ausruhen bestimmt schienen, aber Masaccio stellte redende, ja schreiende<br />

Menschenleiber hin, körper- und schicksalsbeladen wie wir. Der eine tut uns die Vision<br />

einer hellen Welt auf, von der die unsre nur Abglanz und Gleichnis ist, beim andern<br />

erblicken wir wie im Guckkasten einer Bühne ausschnittweise unsere irdische Wirklichkeit<br />

voller lastendem Schmerz.<br />

Etwas mehr als ein Menschenalter später widersprechen sich ähnlich die dramatischen<br />

Tiefenperspektiven Mantegnascher Szenen und die lyrisch-lichten Gestalten<br />

Melozzoscher Engelfresken. Beide Männer aber sind schon beherrscht von dem<br />

Gedanken, die zugemauerten Wände und Decken der menschlichen Behausungen fiktiv<br />

aufzubrechen, um den überall anstoßenden Blicken Ausgänge ins Freie, ins Licht, zu<br />

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