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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Regen‹, sind ›rasselnde Buchstaben, die sich zusammenfügen, / und der Regen redet / in<br />

der Sprache, von welcher ich glaube, / niemand kenne sie außer mir‹; Nachrichten, die<br />

von Verzweiflung reden, von Armut und Vorwurf. Sie berichten nicht nur davon, sondern<br />

sind ›Texte, gesetzt / um deine Verfolgung zu regeln‹, beanspruchen den Menschen für<br />

andere Welten: ›Während mein Hauch sich noch müht, / das Ungeschiedene zu nennen, /<br />

hat mich das Wiesengrün übersetzt / und die Dämmerung denkt mich.‹«<br />

Man möchte sagen, daß Eich in einer Art von Panlinguismus lebt. Es geht immer um<br />

einen »Dialog in einer Sprache, die es nicht gibt«, immer um Forderung und<br />

Herausforderung, um einen Dressurakt, so wie im Tiger Jussuf um die Alternative Bestie<br />

oder Dompteur, wobei unentschieden bleibt, wer Bestie und wer Dompteur ist, wer<br />

zerreißt und wer zerrissen wird; beide verschlingen sich meist gegenseitig. Die Gespräche<br />

haben ungeheure innere und äußere Konsequenzen, sind kein surrealistisches Spiel,<br />

sondern stellen den, der sie versteht, immer auf den harten Boden einer sehr realen,<br />

wegen ihres kompromißlosen Ernstes aber auch – im negativen und positiven Sinn –<br />

typisch deutschen Entscheidung. Immer ist – bei den Hörspielen nicht weniger als bei den<br />

Gedichten – die Nähe des Kierkegaardschen Entweder – Oder spürbar. Man denke: ein<br />

kleines jüdisches Mädchen, verfolgt von der schrankenlosen, hemmungslosen Macht,<br />

wird von ihrem eigenen Großvater gezwungen, das wahnwitzige Paradox eines Gottes zu<br />

begreifen, der die Menschen liebt und zugleich vernichtet, und das wahnwitzige Paradox<br />

eines Menschen – ihrer selbst –, der diesen Gott liebt, obwohl er dann zur eignen<br />

Vernichtung ja sagen muß! Alles aber geschieht durch experimentelles Dichten – zu dem<br />

Zweck, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen und sich ihr dadurch zu nähern.<br />

Aber wozu diese entsetzliche Annäherung? Nur damit wir in dem Augenblick, in dem wir<br />

von der mörderischen Wirklichkeit ergriffen werden, ihr gegenüber frei sind? Nur um des<br />

stolzen, stoischen Satzes willen: »Wer mit dem Entsetzen gut Freund ist, / kann seinen<br />

Besuch in Ruhe erwarten«?<br />

Musil sagt in den Tagebüchern: »Verschieden im Menschenleben sind weder die Fakta<br />

noch die inneren Zustände, sondern ihre raumzeitliche Anordnung. Individuum ist ein<br />

Ablauf, eine Variation. Fertig mit seinem Tod.« Der Doppelsinn des Wortes »fertig« ist<br />

eines der Hauptthemen Eichs. Eine seiner Hauptformen ist die Variation. Ich weiß nicht,<br />

ob man die serielle Technik auch im Musikalischen als eine sublimere Variationstechnik<br />

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