28.02.2014 Aufrufe

Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.mediaculture-online.de<br />

die dem Willen und der Freiheit des Monologisierenden ebensowenig unterliegt wie die<br />

äußere. Das monologisierende Ich kann vielleicht zwischen beiden stehen. Auch der<br />

Hörer kann als Resultante der verschiedenen Positionen und des Widerspruchs zwischen<br />

Außen und Innen einen eigenen Standort beziehen. Der Innere Monolog ist ja nicht nur<br />

sozusagen der Kommentar der äußeren Vorgänge, sondern die äußeren Vorgänge<br />

illustrieren in ihrem Ablauf auch immerfort die Gedanken und Gefühle des<br />

Monologisierenden und führen sie ad absurdum. So ergibt sich aus der Spannung<br />

zwischen dem äußeren und dem inneren Geschehen eine Art eigentlicher Wirklichkeit, die<br />

sich weniger der Monologperson als den Zuhörern auftut. Gegenstand der rätselratenden<br />

Phantasie des Hörers ist dann nicht nur, wie etwa bei einer Kriminalgeschichte, die<br />

unbekannte Vorgeschichte und die Motivik, sondern viel mehr noch der Mensch, durch<br />

den man alles erfährt. Er kann, da er sich ja unbeabsichtigt, monologisierend, selbst<br />

verrät, in alle Verdachte mit einbezogen werden.<br />

Genau dies ist der Fall von Schwester Henriette, und es macht auch den Reiz dieses<br />

Stückes aus. Eine Kriminalgeschichte liegt zugrunde, ein Selbstmord, der für einen Mord<br />

gehalten werden kann. Oder ein Mord, den die monologisierende Schwester für einen<br />

Selbstmord hält? Die Gerichtsverhandlung steht bevor. Schwester Henriette wird heute<br />

nachmittag zwar nur als einer der nebensächlichen Zeugen aussagen, aber sie ist<br />

vielleicht weniger nebensächlich, mehr verflochten, als die Öffentlichkeit und das Gericht<br />

wissen. Darin besteht ihr geheimes Glück und ihr geheimes Unglück. Sie hat den Toten<br />

gepflegt, ein starkes Verhältnis verband sie mit ihm. Allerdings, ob auch er mit ihr so<br />

verbunden war, bleibt unklar, trotz einiger Beweise seines Vertrauens. Und hier nun liegt<br />

die tiefere Spannung, das Eigentliche der Geschichte, aus dem die abgründige<br />

Einsamkeit der Schwester verständlich wird.<br />

Bei Wellershoffs dreißig Jahre jüngerem Hörspiel Die Sekretärin gibt es eine solche<br />

Kriminalgeschichte nicht. Vielleicht darf man Wellershoff in dieser Hinsicht moderner<br />

nennen, allgemeingültiger, weil er alltäglicher sein will. Auch die Sekretärin hat eine<br />

Begegnung mit einem Manne gehabt – freilich nur eine von den trivialen Begegnungen,<br />

bei denen die Kraft zur Illusion schon nicht mehr ganz ausreicht, eins von jenen<br />

Erlebnissen, durch die einsame Frauen heute fast bis zur Prostitution erniedrigt werden.<br />

Daß Wellershoff seine Geschichte so absichtlich pointelos vonstatten gehen läßt, zwingt<br />

129

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!