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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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daß die gemütvollen Zaubereien des Herrn Walser ihren Charakter alltäglicher<br />

Gelassenheit, durch die sie erst im Sinne Hildesheimers wirklich absurd werden, verlieren,<br />

und daß man die Geschichte nur noch als verrückte, verspielte Idee mißversteht.<br />

Es ist kein Zufall, daß fast alle angeführten Beispiele, obwohl nicht unter diesem<br />

Gesichtspunkt ausgesucht, Musik in demselben Sinn wie Geräusch, oft sogar statt eines<br />

Geräuschs verwenden: Selbst das vierhändige Klavierspiel im Glaubwürdigen Lügner hat<br />

eine Parallele in einer Geräuschanwendung: etwa wenn in Heinz Hubers Hörspiel Früher<br />

Schnee am Fluß die Schreibmaschine des Korrespondenten Stein das immer<br />

wiederkehrende Rondothema bildet. Musik und Geräusch haben in beiden Hörspielen<br />

auch genau die gleiche Funktion, erinnern durch ihr periodisches Wiederauftauchen an<br />

eine andere Realitätsschicht, die allen Vorgängen zugrunde liegt und die der Hörer nicht<br />

vergessen soll: das Schreibmaschinengeklapper daran, daß sämtliche Szenen als<br />

Bestandteile des Korrespondentenberichts zitiert werden, den Stein soeben verfaßt, und<br />

zu dem wir und die Rundfunkfamilie Schmidt Stellung zu nehmen haben, und das<br />

Klavierspiel daran, daß alle Handlungsvorgänge, obwohl sie immer nur die lügnerischen<br />

Machenschaften des alten Liebhabers enthüllen, dennoch »aufgehoben« werden in der<br />

lieben Lebenslüge, von der die alte Frau keineswegs mehr ablassen wird.<br />

Man sieht: beide Male geht es zugleich um die Transposition einer Wirklichkeit in eine<br />

andere, Musik und Geräusch haben den Charakter einer Blende oder doch mindestens<br />

die Aufgabe, an eine vollzogene und immer wieder zu vollziehende Blende zu erinnern.<br />

Genau dies Erinnern an vollzogene Transposition, die nicht vergessen werden darf,<br />

sondern als Relation erhalten bleiben muß – oder auch manchmal die Hilfestellung bei der<br />

Transposition selbst –, genau dies ist sehr häufig die Funktion musikalischer Signale<br />

(oder stilisierter Geräusche): etwa wenn im Tiger Jussuf mit einer Art musikalischer<br />

»Drehblende« Siegfried Franz aus der Welt realen Zirkusgeschehens in jene Wirklichkeit<br />

hinüberführt, in der während ihrer Nummer Tiger und Dompteur in menschlicher Sprache<br />

ein lebensgefährliches Gespräch miteinander führen – oder wenn in Hirches Heimkehr die<br />

Todesschmerzen leidende Frau beim Einstich der betäubenden Nadel mit einem<br />

musikalischen Geräusch in die wohlige Bewußtlosigkeit hinabsinkt, in der sie von den<br />

Szenen einer längst vergangenen Wirklichkeit aufgefangen wird. In Eichs Die Andere und<br />

ich hat Burmester sogar einmal einen musikalischen »Blendton« mitten in die ganz<br />

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