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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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hat sie zur Methode erhoben. An einem entscheidenden Punkt der Entwicklung, vielleicht<br />

am entscheidendsten, steht das Hörspiel. Der Satz Musils muß geradezu als seine bisher<br />

wichtigste Definition, die fünfte, angesehen werden.<br />

Was bedeutet die Manipulation mit dem Zeitablauf, der Anspruch, die Kontinuität der Zeit<br />

durcheinanderzubringen, sie in die Gewalt zu bekommen? Vermutlich geht es dabei doch<br />

nicht ausschließlich um den rein artistischen Versuch, ein Theater zu begründen, in dem<br />

die Rückblende praktiziert wird. Denn diese Absicht des Musil-Satzes ist ja unverkennbar,<br />

und sie ist für das Jahr 1920, als die Filmdramaturgie noch wenig entwickelt und kaum<br />

diskutiert war und als an das Hörspiel noch keineswegs gedacht werden konnte,<br />

erstaunlich genug. Aber gerade darum, weil hier die Zeitblende ganz sicher nicht in<br />

simpler Nachahmung von Film und Funk gefordert wird, muß die Frage erhoben werden,<br />

wo die Hintergründe, die Motive dieser Forderung, zu suchen sind.<br />

In den Naturwissenschaften geht es, wenn ich es richtig beurteile, darum: nicht nur die<br />

Zeitkomponente, sondern mit der Zeitkomponente unsere bisherige Vorstellung von<br />

Wirklichkeit überhaupt aufzulösen, weil diese Vorstellung nicht mehr ausreicht, die<br />

Wirklichkeit zu erklären. So dürfte es auch literarisch sein, so dürfte auch hinter der<br />

Absicht Musils das Ungenügen an der Wirklichkeitsvorstellung überhaupt stehen.<br />

Es kann mit Sicherheit gesagt werden, daß es sich um das Unbehagen an der kompakt<br />

gegenständlichen Bindung der Kunst, in diesem Fall der Theaterkunst, handelt, deren<br />

Angewiesensein auf Realität, auf Verkörperung, als Fessel bei der sprachlich-spirituellen<br />

Entfaltung empfunden wird. Dies genau im Sinne Ionescos, der das Störende dieser<br />

Bindung wiederholt beschrieben hat. Am präzisesten im folgenden Satz aus Ganz<br />

einfache Gedanken über das Theater:<br />

»Was mich am Theater störte, so glaube ich begriffen zu haben, waren die Menschen aus<br />

Fleisch und Blut auf der Bühne. Ihre körperliche Gegenwart zerstörte die Vorstellungswelt. Zwei<br />

Wirklichkeitsebenen waren vorhanden, einerseits die körperliche Gegenwart lebender<br />

Menschen, die sich auf der Bühne bewegten und sprachen, und dann die Wirklichkeit der<br />

Phantasie. Beide, in unmittelbarer Nähe zueinander, deckten sich aber nicht, waren nicht<br />

aufeinander zurückzuführen; es waren zwei entgegengesetzte Welten, die sich weder vereinen<br />

noch mischen konnten ... Jede Bewegung, jede Haltung, jeder Satz, der auf der Bühne<br />

gesprochen wurde, zerstörte in meinen Augen eine Welt, die eben diese Bewegung, diese<br />

Haltung, dieser Satz zu erschaffen sich anschickte, zerstörte sie, bevor sie überhaupt<br />

erscheinen konnte. Das war für mich eine regelrechte Abtreibung, eine Art Schuld, eine<br />

Albernheit.«<br />

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