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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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wie wenig später Der Verrat von Ottawa) und will zeigen, wie Menschen, von einer<br />

Machtapparatur erfaßt, ihre individuelle Existenz immer mehr verlieren. Die Operation ist<br />

unheimlich wie eine Leukotomie und wird in der Wurzeltiefe der Person vollzogen, da, wo<br />

Widkert auch als <strong>Autor</strong> zu operieren versucht. Diese Tiefe scheint ihm zwar noch<br />

manipulierbar, aber schon nicht mehr berechenbar, weshalb er sich, wie bereits in Das<br />

Buch und der Pfiff, auch in Kress wird geheilt (55) über die Tiefenpsychologie ein wenig<br />

lustig macht: Kress’ Schicksal ist, abwechslungsweise einmal andersherum »umgedreht«<br />

zu werden: aus der Mentalität eines Wehrdienstverweigerers wird durch geduldige<br />

Behandlung ein kerngesunder »Wehrgeist« entwickelt.<br />

Doch liegt solche Ironie mehr an der Peripherie von Wickerts eigentlicher<br />

Problemstellung. Die Mitte nimmt etwa ein Hörspiel wie Der Klassenaufsatz (54) ein. Der<br />

Schüler Geiger besucht dreißig Jahre nach dem Abitur noch einmal den alten Schulraum<br />

und rekapituliert, was in jenem Aufsatz »Wie ich mir mein Leben vorstelle« von ihm und<br />

den andern geschrieben wurde, um es mit dem Ablauf der Biographien seither zu<br />

vergleichen. Exerziermäßige Vernünftelei von Pennälern und Paukern, in der sich die<br />

Ohnmacht menschlichen Denkens und Planens spiegelt, wird konfrontiert mit Elend und<br />

Bedrängnis der Aufgaben, die dann wirklich zu bewältigen waren. Sie rochen nicht nach<br />

Linoleum und Bohnerwachs.<br />

Einer, der nach großem Anflug gescheitert ist, fragt am Ende den alten Lehrer: »Haben<br />

Sie nicht bemerkt, daß die Aufsätze alle unvollendet waren? Es hat keiner davon<br />

gesprochen, wie er sich sein Ende vorstellte.« Dies aber ist die Frage, die Wickert in<br />

seinen Hörspielen immer wieder aufwirft. Darfst du die Stunde rufen? zeigt Schmerz und<br />

Angst der Krebskranken, der niemand den Kampf mit dem Tode abnehmen will, obwohl<br />

sie nach Erlösung schreit. Nur das trübe Licht der Hoffnung, daß das Wunder einer jähen<br />

Wendung niemals ausgeschlossen werden kann, begleitet sie in ihr Sterben, beleuchtet<br />

aber nichts als die Armut des Menschen gegenüber dem Tode. In Alkestis behandelt<br />

Wickert gemäß dem alten Mythos den Machtkampf zwischen Liebe und Tod. Am<br />

bedeutendsten ist Cäsar und der Phönix, wo eine Sinndeutung des Sterbens auf der<br />

einsamsten menschlichen Höhe versucht wird, wo versucht wird, in ihm die Vollendung zu<br />

sehen.<br />

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