28.02.2014 Aufrufe

Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.mediaculture-online.de<br />

bildenden idealen Zeit in die empirische hinein, und ferner dadurch, daß diejenigen, die<br />

Illusion erzeugen, die Schauspieler, sich zu Zeugen machen, daß diese Illusion nicht ernst<br />

gemeint ist. Nur durch eine permanente Anstrengung, die im Wort unternommen wird,<br />

gewinnt der Dichter die freie Verfügung über den Zeitablauf, gewinnt er die Freiheit zur<br />

Zeitblende auch auf dem Theater, die Musil fordert.<br />

Wie sehr die Zerstörung der dreidimensionalen Realität Vorbedingung für die Souveränität<br />

des Dichters im Zeitkontinuum ist, zeigt sich bei der Verwendung der Zeitblende in Film<br />

und Fernsehspiel, wo die Realität immer photographisch dokumentiert wird. Obwohl<br />

immer wieder beinahe gewaltsam versucht, ist z. B. die Rückblende im Film nie recht<br />

heimisch geworden. Auch der einfache Zeitsprung ist jedesmal ein Problem, das kaum<br />

ohne Gewaltsamkeit zu lösen ist. Am deutlichsten zeigen sich die Verrenkungen, die zu<br />

diesem Zweck vorgenommen werden, bei Fernsehspielen, die mit der Absicht einer<br />

unmittelbaren Sendung, einer Live-Sendung, geschrieben sind. Selbst ein Mann wie<br />

William Saroyan muß da gelegentlich eine Uhr zeigen und sie ostentativ über die Stunden<br />

hinwegrasen lassen, die übersprungen werden. Fallende Kalenderblätter sind<br />

ebensowenig eine Seltenheit wie gefilmtes und eingeblendetes Blätterfallen im Herbst.<br />

Überhaupt wird die Aufgabe bei der Filmaufzeichnung dadurch etwas leichter, daß man<br />

Natur- und Jahreszeitensignale verwenden kann. Oder – ganz naiv – dadurch, daß es<br />

möglich ist, dieselbe Person, die eben noch im Hemd im Schlafzimmer gesehen wurde,<br />

mit einem hart angeschnittenen Bild auf der Straße in Hut und Paletot zu zeigen usf. Auch<br />

sind natürlich gewisse Zeitblenden mit Hilfe des Dialogtextes möglich, deren Signale nur<br />

im Wort stehen. Doch sind sie nicht weniger gewaltsam, weil das Wort gegenüber der<br />

kompakten Bildrealität schwach ist. Der Bildrealismus – und dies bedeutet auch: die<br />

Zeitkontinuität – will sich immer durchsetzen. Deshalb betonen fast alle Film- und<br />

Fernsehtheoretiker, daß sie von realistischen Kunstgattungen reden. Diese<br />

Kunstgattungen sind realistischer als das Theater je war, weil es im Wesen der<br />

Photographie liegt, daß sie in sich den Anspruch enthält, Wiedergabe einer Wirklichkeit,<br />

eines Wirklichkeitsausschnitts zu sein. Vielleicht trägt der Charakter des sozusagen<br />

»vorgesehenen« scharfen Bildausschnitts noch zusätzlich zu dieser realistischen Starrheit<br />

bei, weil er dem Zuschauer nicht, wie die Guckkastenbühne, die Möglichkeit läßt, sich mit<br />

den Augen anderwärts, nach einem selbstgewählten Blickpunkt, zu orientieren, d. h. aus<br />

der Bild»wirklichkeit« auszusteigen. Eine genaue Untersuchung dieser Fragen wäre<br />

193

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!