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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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DIE ANFÄNGE DES FEATURES / DAS SPIEL MIT DER VERRINNENDEN<br />

ZEIT BEGINNT<br />

Im gleichen Jahr wie die Hörspiele Wolfs und Johannsens, 1929, erlebte auch Walter<br />

Erich Schäfers Malmgreen seine Ursendung. Mit Friedrich Wolfs SOS hat es gemeinsam,<br />

daß es den Stoff von der Italia-Katastrophe nimmt. Aber es geht formal andere Wege, ist<br />

in gewisser Weise »moderner« als die beiden besprochenen Stücke – modern und<br />

rundfunkgemäß durch einen offensichtlich bewußten, stilbildenden Verzicht. Während<br />

Johannsen und Wolf für ihre Figuren noch alle Dimensionen der Wirklichkeit, besonders<br />

auch die dramatische Tiefendimension in Anspruch nehmen, läßt Schäfer sie ganz in der<br />

Fläche, läßt die Gestalten sozusagen nur als Zitate aus der Berichtform hervortreten.<br />

Überraschend wird hier die fünfundzwanzig Jahre später von Ernst Schnabel und Alfred<br />

Andersch praktizierte Sprache des Features vorweggenommen. Ein anonymer Chronist<br />

erzählt mit nüchterner Sachlichkeit Vorgänge von geschichtlicher Realität, hält sich genau<br />

an den chronologischen Ablauf, belegt ihn mit bewußter Pedanterie durch exakte<br />

Stunden- und Minutenangaben. Dabei läßt er aber zwischendrein auch immer einmal die<br />

handelnden Personen, gleichsam als Zeugen, kurz an die Rampe der Erzählung, damit<br />

sie sich in direkter Rede – mit gehobener, freirhythmischer Sprache – selbst kundtun.<br />

Dies geschieht, wie um den Bericht dokumentarisch zu belegen, – in Wirklichkeit aber, um<br />

die Berichtersachlichkeit und die anonyme Zwangsläufigkeit des verzweifelt<br />

unaufhaltsamen Zeitablaufs zu durchstoßen und zu zeigen, daß die Sekunden und<br />

Personen darin Individualität, Einmaligkeit, Erlebbarkeit und Erlebnisfähigkeit besitzen.<br />

Das Hörspiel ist das Spiel mit der verrinnenden Zeit. Darin ist ihm das Feature verwandt,<br />

nur daß es als Mittel auch den Bericht über wirkliches Geschehen, die Reportage,<br />

benutzt. Im Bericht über vergangene Ereignisse tritt empirische Zeit besonders penetrant<br />

in Erscheinung, reale Vergangenheit kann nur als unerbittlicher, funktioneller Ablauf<br />

begriffen werden. Nun wird dieser Ablauf um des Kontrastes willen mit existentieller Zeit,<br />

mit Schicksal und Erlebnis, durchsetzt, die ihrerseits nur als gegenwärtiges Jetzt und Hier,<br />

als Bewußtsein und Sprache gewordener Augenblick, erfaßt werden können. Ernst<br />

Schnabel, bei der Schilderung seines Fluges um die Erde in dem Feature Interview mit<br />

einem Stern (1951), drückt das Gefühl des melancholischen Ablaufs zweieinhalb<br />

Jahrzehnte nach Schäfer so aus:<br />

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