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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Die wichtigste Blende ist die Zeitblende, denn auch die Realitätsblende und die Stilblende<br />

(die es in ausgeprägter Form wohl nur im Hörspiel gibt) sind eine Art Zeitblende, insofern<br />

epische Zeit eine andere als dialogische, Phantasiezeit eine andere als reale ist.<br />

Die Beispiele aus den anderen Künsten, außer der Hörspielkunst, wurden vor allem<br />

herangezogen, um deutlich zu machen, daß Zeitblenden nur hei Reduzierung auf die<br />

Eindimensionalität möglich sind. Im bewegten Lichtbild sind sie ohne besondere<br />

Kunststücke und ohne die Hilfe des Wortes nicht ausführbar, auf dem Theater nur, wenn<br />

vorher die kompakte Realität zerstört wird, damit die Eindimensionalität des Wortes die<br />

Übermacht gewinnt. Dem Hörspiel aber, das sich in einem eindimensionalen Hörraum<br />

vollzieht, ist die Zeitblende so selbstverständlich wie dem Film, dessen »Spielraum«<br />

photographierte Dreidimensionalität ist, die Schauplatzblende, der Sprung von einer<br />

Blickrichtung zur anderen. Nur daß die Zeitblende eben nicht bloß wie der Filmschnitt als<br />

technischer Vorgang zu vollziehen ist, sondern allein mit dem Wort, das im Hörspiel so<br />

eindeutig dominiert, wie im Film die technische Lichtbilderfolge.<br />

Das Hörspiel existiert ausschließlich (technisch-akustisch und geistig, weil auch der<br />

Sprachraum linearen, der Phantasieraum punktuellen Charakter hat) in diesem einzigen<br />

Element, in der eindimensionalen Zeit. Der Dichter ist ihr Herr, er kann sie brechen und<br />

zerbrechen und ihr eine Abfolge unabhängig von jeder Chronologie geben, wie er will.<br />

Durch den Dichter aber erlebt dann auch der Hörer die spielerische Lust der Freiheit im<br />

Zeitablauf. Dieses Spiel, vor allem durch die Spannung, in der es zur empirischen Zeit<br />

steht, macht den genuinen Reiz des Hörspielhörens aus. Daher erhält das Hörspiel auch<br />

jenen Anschein von Irrealität, der häufig als Geisterhaftigkeit apostrophiert und<br />

mißverstanden oder oberflächlich verstanden wird. Schon vor dem Krieg, in der ersten<br />

Periode der Hörspielentwicklung, gab es (bei Pongs und Kolb nachzulesen) jenes<br />

Mißverständnis, als ob die eigene und eigentliche Domäne des Hörspiels gegenüber<br />

anderen Literaturgattungen darin bestehe, daß es Gegenstände, Abstrakta und<br />

Gespenster sprechen lassen könne. Das ist ein Irrtum, denn sprechende tote Realitäten<br />

und Spukirrealitäten sind im Hörspiel genauso amüsant oder unbehaglich wie anderwärts,<br />

je nachdem, wie sie zur Sprache gebracht werden. Was bei flüchtiger Betrachtung<br />

geisterhaft erscheint, ist etwas ganz anderes: nämlich die Souveränität über die Zeit, die<br />

in der konsequenten, unkörperlichen Eindimensionalität ihren Grund hat.<br />

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