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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Reinachers Stück eigentlich nicht nur einen, sondern zwei »Sprecher«: neben dem<br />

anonymen Ansager noch den Geist, der den Mönch im Traum anredet und entführt. Hat<br />

sich der <strong>Autor</strong> vielleicht nur noch nicht deutlich zu machen gewußt, daß beide eigentlich<br />

eine Person sein müssen, eine Person sind? Dann nämlich läge auch zutage, daß Kolb<br />

irrt – mit seiner Behauptung, der zweite (Traum-)Ort zerbreche die Einheit des Orts.<br />

Dieser zweite Ort ist nämlich gar kein zweiter, sondern der erste und eigentliche, in dem<br />

auch die granitene Alptraumlandschaft und die Selbstquälerei des Mönchs am Berg sich<br />

befinden und an den auch die Melodie der Hacke immerfort erinnert. Erst als der<br />

»Traumgeist« kommt und mit dem Büßer in diese Tiefe hinabtaucht, lernen wir den »Ort«<br />

kennen, wo alles gründet. Es wird bei Reinacher zum erstenmal klar – und hier liegt seine<br />

hörspielgeschichtliche Bedeutung –, daß es im Hörspiel einen gemeinsamen inneren Ort,<br />

wie für alle Figuren und Vorgänge, so auch für alle äußeren Orte und »Schauplätze« gibt,<br />

in dem sich alles eigentlich vollzieht: das lateinische conscientia, »Bewußtsein«, heißt<br />

bekanntlich auch »Gewissen«. Hier im verletzten Gewissen des Mönchs – das ist in der<br />

Traumszene plötzlich offenbar – geht die Handlung des Stücks vor sich, bis endlich der<br />

doppelsinnige Schlußchoral feststellt, daß der Weg sühnender Tätigkeit für alle aufgetan<br />

ist.<br />

Wer Reinachers Stück unter diesem Gesichtspunkt hört oder liest, wird sofort erkennen,<br />

daß es – auch wenn dem Dichter dieser Umstand noch entgangen ist – nur einen<br />

Wegbegleiter geben kann, der, wie Vergil den Dante, Mönch und Zuhörer bei der Hand<br />

nimmt: er führt sie an den Ort, an dem ihnen die Augen aufgehen, an den Ort ihrer<br />

Schuld.<br />

Reinacher hat im folgenden Jahr (1931) noch ein zweites, kleineres Hörspiel geschrieben,<br />

eine Komödie, die uns als Abdruck in Rufer und Hörer erhalten ist: Das Bein. Unter<br />

Benutzung einer grotesken Idee Heinrich Zschokkes – daß nämlich eine junge Frau,<br />

durch einen Unfall hinkend, ihren gesunden Freund nicht heiraten will, bevor er sich nicht<br />

gleichfalls ein lahmes Bein zulegt – hat Reinacher das Thema des Narren mit der Hacke<br />

heiter abgewandelt. Es geht um einen falschen Büßer, der seine Freundin – nicht von<br />

ihrer Hochmut-Krankheit, denn davon weiß sie nichts, sondern von einem belanglosen<br />

äußeren Schaden befreien will, indem er sich die gleiche Krankheit als eine Art Buße<br />

auferlegt. Ein vagabundierender Ochse auf einer Wiese zwischen den Bayreuther und<br />

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