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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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zur Fernsehdistanz. Max Frischs Stücke dagegen sind für die Barriere der Rampe<br />

eigentlich immer zu differenziert; auch wenn der große Andorra-Erfolg dagegen zu<br />

sprechen scheint, möchte ich behaupten, daß alle bei entsprechenden<br />

Fernsehaufführungen die stärkere Wirkung ausüben. Die leider nicht aufgezeichnete<br />

Ludwig-Cremer-Inszenierung von Max Frischs Chinesischer Mauer war einer der größten<br />

Bildschirmeindrücke des letzten Jahrzehnts, während das Stück auf der Bühne nie einen<br />

wirklichen Durchbruch erzielte. Bei Hildesheimer ist es nun aber so, daß ihm vollständig<br />

gemäß vor allem das Hörspiel ist: seine Szenen sind niemals nach einer Seite offen, die<br />

»vierte Wand« fehlt nirgends, man kann also nicht hineinsehen, wenn man nicht<br />

hineintritt. Dürrenmatts Satire ist aggressiv-dramatisch, Frischs skeptisch-metaphysisch,<br />

Hildesheimers Satire aber – und das ist meines Wissens etwas Neues – will nicht<br />

herausfordern, sie ist weder aggressiv noch skeptisch, sondern man kann sie vielleicht<br />

amüsiert-bejahend nennen. Sie stellt nur fest, sie fragt nur: hier ist ein Gleichnis der<br />

Wirklichkeit – ist diese Wirklichkeit nicht bei all ihrer quälenden Verschrobenheit von<br />

geradezu liebenswerter Konsequenz und Geschlossenheit?<br />

So ist Hildesheimer wohl am meisten »literarisch« gegenüber den beiden<br />

»Theatralischen«. Er will nichts proklamieren, kann mit der »moralischen Anstalt« nichts<br />

anfangen, seine Arbeiten sind am meisten hörspielgemäß: in sich geschlossene, eigene<br />

Welten, Mikrokosmen, ganz parallel zur Realität, ohne Berührungspunkte mit ihr oder gar<br />

einen Kanal zu ihr. Niemals könnte Hildesheimer in seinen Stücken »Helden« dulden, die<br />

nach vorn treten, auch der rätselratende Prinz in Turandot und Drachenthron muß falsch<br />

sein, auch Paris und Helena müssen Hintergedanken gegeneinander haben; der<br />

Bilderfälscher Robert Guiskard im Balkanexpress hat dagegen sogar die Mona Lisa des<br />

Louvre gemalt, die man für echt hält. In solchen Erfindungen ist nicht etwa gewolltes<br />

Geistreichsein und Extravaganz zu sehen: die Verschrobenheit dient Hildesheimer nur<br />

zum Verfremden, zum Verschrauben, zum Abdichten der eigenen Geschichte gegenüber<br />

der Wirklichkeit. Er betont die Welt der Hintergedanken, weil Gradeaus- und<br />

Vordergedanken mit einer falschen Vorstellung von Normalität verknüpft werden könnten,<br />

und das wäre dann der besagte Kanal zur Realität.<br />

Nun vertritt zwar auch bei Dürrenmatt in der Panne keine der Figuren irgendeine<br />

Normalität oder Realität, doch sind die Argumente sämtlicher Plädoyers in der grotesken<br />

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