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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Anfang des Stücks erlebt man einen der vielen tödlichen Abstürze. Doch da taucht<br />

plötzlich ein Fremder auf, ein Mönch, der mit einer Hacke, die er sich ausleiht, auf den<br />

Granit zu schlagen beginnt. Jahre arbeitet er unbeirrt. Eindrucksvoll, wie er allmählich in<br />

der Steinwand verschwindet, nur dann und wann Geröll in seiner Schürze<br />

herausschleppend. Was treibt ihn zu dieser Arbeit, bei der seine Hacke tagelang kaum<br />

Schrunden im Fels hervorbringt? Die Hörer, die diese Frage stellen, erleben, wie eines<br />

Nachts ein »Traumgeist« den Mönch an den Ort führt, wo er, ein Ritter, einst bei einem<br />

Fest seinen Beleidiger, den Fürsten Hoshoji, erschlug. Er wiederholt, während er wachend<br />

durch harte Arbeit im Granit sühnt, schlafend immer wieder die blutige Tat. Eines Tages,<br />

er ist fast durch den Berg, kommt der Rächer des Fürsten, der den vermeintlichen Mönch<br />

schon seit Jahrzehnten sucht, und will ihn töten. Doch da er sieht, was geschieht, läßt er<br />

ihn das Werk vollenden. Als an der anderen Seite das erste Licht durch den Stollen blitzt<br />

und die Menschen wie einen Choral singen: »Wir haben einen neuen Weg«, stirbt der<br />

erschöpfte alte Mann nach Vollzug seiner Sühnetat.<br />

Kolb, unter dem starken Eindruck der beinahe naiv lehrhaften Dichtung, meditiert über die<br />

»Einheit des Orts« um Dorf und Granitfelsen und über das permanente Pochen der<br />

»Gewissenshacke«, das unterlegt ist. Nur zweierlei bemängelt er: die angebliche<br />

Zerstörung der Einheit des Orts durch die Traumentführung an den fernen Schauplatz der<br />

Untat, den Fürstenhof, und die Unterbrechung der szenischen Darstellung durch einen<br />

anonymen Sprecher, der von Anfang an die Handlung mit kurzen Sätzen erklärt und<br />

zeitüberbrückend weiterführt. ∗ Sein Wirken vergleicht Kolb mit Stummfilm-Zwischentexten<br />

und meint, es wäre ein leichtes gewesen, ohne ihn auszukommen.<br />

Eines ist sicher richtig: die Ansager-Anonymität ist ungeschickt. Reinacher aber, der nicht<br />

Visionen, sondern »Auditionen« produziert – man spürt das unter anderm an der<br />

bewundernswerten Kunst, mit der er die klingende Hacke als zweite entferntere Handlung<br />

den vordergründigen Handlungen, vor allem den Spottrepliken der Dorfbewohner,<br />

unterlegt – Reinacher hat diesen Ansager-Erzähler zweifellos so gehört, wie er ihn<br />

niedergeschrieben hat. Worauf wollte er damit hinaus? Konnte er vielleicht nur<br />

irgendetwas noch nicht sehen und verwirklichen, was wir heute sofort sehen und<br />

verwirklichen würden, worauf damals aber auch Kolb noch nicht kam? Es gibt in<br />

∗ Reinacher hat diesen Sprecher in einer späteren Fassung entfernt.<br />

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