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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Das Urepische, das den direkten Weg vom fabulierenden Mund zum geneigten Ohr<br />

niemals verleugnet, beruht auf jener improvisatorischen Unmittelbarkeit, der es nicht um<br />

nachgeschaffene Realität geht (mindestens nicht in den Einzelheiten), sondern um eine<br />

schöpferische Ausdrucks- und Phantasiewelt – weshalb der Schaffende, der Erzählende<br />

sich niemals aus seiner Erzählung zurückziehen kann. Er beginnt: »Ich hörte das sagen ...<br />

«, oder er ruft die Götter an: »Hilf mir, Muse!«, oder er spielt sogleich auf die<br />

Fabuliergemeinschaft mit seinen Zuhörern an: »Eduard, so nennen wir einen reichen<br />

Baron im besten Mannesalter ...« Auch die Distanz des »Es war einmal« meint ja nicht<br />

eigentlich eine Vorzeit, sondern einen weitabliegenden Raum epischer Souveränität, für<br />

den der Erzählende als Gewährsmann und Zeuge einsteht.<br />

Bei Goethe freilich gibt es, trotz des epischen Tons, den er pflegt, schon jenen<br />

verräterischen Satz, daß der Rhapsode »hinter einem Vorhang am allerbesten läse«, er<br />

»sollte als ein höheres Wesen in seinem Gedichte nicht erscheinen«. Leichthin wird<br />

dieser Satz immer wieder im Zusammenhang mit der Hörspielkunst erwähnt – aus ganz<br />

äußerlichen Gründen: weil auch die Hörspielsprecher unsichtbar sind. Wahrscheinlich<br />

aber drückt sich in ihm schon die Tendenz aus, die das ganze weitere Jahrhundert<br />

vorherrschend sein wird, jene Entwicklung zur Objektivierung, die nur in der fixierten<br />

Sprache möglich war. In dem Maße, in dem der Dichter sich verbirgt und der Rhapsode<br />

als Gewährsmann einer durch die Kraft der Poesie geschaffenen Welt sich zurückzieht,<br />

muß diese Welt selbst nach vorn rücken – und sie, muß sich anderswoher legitimieren als<br />

durch die <strong>Autor</strong>ität des schöpferischen Dichter-Sängers, nämlich aus der Wirklichkeit. Der<br />

Rhapsode hinter einem Vorhange eröffnet den Weg, der über den Realismus und<br />

Naturalismus der großen Erzähler des 19. Jahrhunderts bis zu den Romanen von James<br />

Joyce und bis zu Beckett führt, der in Comment c'est deklariert: »Ich sage nicht mehr, wer<br />

spricht, das sagt man nicht mehr, das muß ohne Interesse sein.«<br />

Diese Entwicklung hat, dadurch, daß in ihm die Person in der Kontinuität der Stimme stets<br />

gegenwärtig ist, für das Hörspiel sozusagen nicht stattgefunden. Unmöglich kann hier der<br />

Name dessen, der spricht, »ohne Interesse sein«, denn der sprechend Gegenwärtige<br />

steht als Person für das Gesagte ein. Darum stellen sich im Hörspiel Erzähler wie<br />

Darsteller im allgemeinen sofort vor oder werden vorgestellt; indem sie sich aber zum<br />

Namen bekennen, bekennen sie sich zu ihrer Stimme und dadurch zur Einheit der<br />

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