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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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zwischen dem niedersten und dem höchsten Niveau erlebt, wie es sonst für uns heute<br />

literarisch bezeichnend ist.<br />

Alfred Döblin nannte auf der Kasseler Tagung von 1929 neben dem schon erwähnten<br />

»Sanierungseingriff« (den seiner Meinung nach der Rundfunk in die Literatur dadurch<br />

vornimmt, daß er sie zwingt, wieder an die gesprochene Sprache zu denken) noch eine<br />

zweite Wirkung des Rundfunks, einen zweiten »Sanierungseingriff«:<br />

»Dieses formale Merkmal des Rundfunks, an unbestimmt viele Menschen zu gelangen, kann im<br />

positiven Sinne eine wichtige literarische Veränderung bewirken. Sie kennen die fatale, ja<br />

grausige Lage unserer Literatur: alles drängt nach Spitzenleistungen. Es besteht eine<br />

Riesenkluft zwischen der eigentlichen, schon überartistischen Literatur und der großen<br />

Volksmasse. Die große Literatur ist bald für tausend, bald für zehntausend, höchstens für kaum<br />

hunderttausend Menschen da. Gelegentliche Massenauflagen können darüber nicht<br />

hinwegtäuschen. Diese überartistische Haltung sterilisiert uns, sie ist ungesund und<br />

unzeitmäßig. Wieder tritt da der Rundfunk vor uns, die er eben aufgefordert hat, die Drucktype<br />

zu verlassen, und fordert uns auf, unsern kleinen gebildeten Klüngel zu verlassen. Ich kann das<br />

nicht als einen Nachteil bezeichnen. Beides, mündlich zu sprechen oder sprechen zu lassen und<br />

sich auf den lebenden, einfachen Menschen der Straße und des Landes einzustellen: diese<br />

beiden literaturfremden, funkformalen Ansprüche sind auch literarisch gute Ansprüche.«<br />

Was Döblin hier als Hoffnung formuliert, wurde im Hörspiel inzwischen verwirklicht.<br />

Keineswegs dadurch, daß von den Dramaturgen eine Niveau-Elle auf den literarischen<br />

Markt gehängt oder daß Bedingungen entsprechender Art gestellt wurden; alles hat sich<br />

vielmehr ganz von selber so ergeben. Das aber ist umso erstaunlicher, als beispielshalber<br />

in der Unterhaltungsmusik des Rundfunks durchaus auch (und nicht einmal<br />

stiefmütterlich) gepflegt worden ist, was man in den zuständigen Abteilungen »Schnulze«<br />

nennt: ein Ausdruck, der übrigens in diesen Abteilungen erst vor etwa einem halben<br />

Jahrzehnt (wahrscheinlich von dem Unterhaltungsdirigenten Harry Hermann) geprägt<br />

wurde.<br />

Natürlich schleicht sich gelegentlich auch ins Hörspiel einmal Schnulzenähnliches ein. Ich<br />

entsinne mich eines geradezu makabren Kolportagestücks, das in Berlin (in der NWDR-<br />

Zeit 1951) gesendet wurde: Ciaconne von Hans v. Heister – demselben, dem<br />

nachgerühmt wird, daß er 1924 das Wort »Hörspiel« geprägt habe. Nun bewirkte ein<br />

Hörspiel von ihm ein halbes Jahrzehnt lang Wiederholungswünsche, die bei den Sendern<br />

in großer Zahl eingingen. Dennoch fühlte sich niemand bemüßigt, das sentimentale Stück,<br />

in dem ein geistig umwölktes Mädchen beim Anhören des berühmten Violin-Solo-Satzes<br />

plötzlich ihre – bei gleichem Anlaß verlorenen – Geisteskräfte wiedergewinnt, nach<br />

Wunsch zu wiederholen. Erst recht versuchte keine Hörspielredaktion, auf solche Erfolge<br />

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