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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Über die Blende in der modernen Prosa ∗ kann nur gesagt werden: daß die Verwendung<br />

des Begriffs hier wohl etwas vage ist, daß er sich aber wahrscheinlich dennoch für das<br />

Verständnis mancher formaler Eigentümlichkeiten als nützlich erweisen würde. Die<br />

Schwierigkeit ist u. a. darin begründet, daß das stumme Lesen, mit dem die heutigen<br />

Prosaisten rechnen, kein Vorgang mehr ist, der sich in einem festen, vom <strong>Autor</strong> zu<br />

bestimmenden empirischen Zeitablauf vollzieht. Simpel gesagt: nicht nur der Dichter<br />

macht Absätze, Sprünge, Pausen, Schlüsse und Neuanfänge, sondern auch der Leser.<br />

Deshalb kann man beinahe nicht mehr konstatieren, daß sich die Zeit, die in der<br />

Handlung abläuft, zur realen, empirischen Zeit, die das Lesen braucht, irgendwie<br />

»verhält«, daß die Erzählzeit irgendwelche Dimensionen hat. Der Vorgang, der sich im<br />

Lesen vollzieht, ist bloß noch spirituell. (Auf der vollkommenen Freiheit des Lesers beruht<br />

auch die vollkommene, an Willkür grenzende Freiheit des <strong>Autor</strong>s; hier liegt die Gefahr des<br />

Romans als Kunstform.) Dennoch gibt es noch und wird es immer geben: den Willen zur<br />

Kontinuität, ja sogar zu minutiöser Darstellung als Stilmittel. In diesem Fall kann dann<br />

auch von Blenden gesprochen werden. Man wird wahrscheinlich die jeweilige Kontinuität,<br />

die jeweilige Konsistenz eines Werks erst feststellen müssen, um dann die Blendsprünge<br />

zu erkennen und zu beurteilen.<br />

Was nun das Theater betrifft, so hat man in den Jahrzehnten seit Pirandello bis hin zum<br />

epischen Theater Brechts und Wilders alle Anstrengungen darauf verwendet, es von der<br />

Kompaktheit seiner Raumrealität zu befreien. ∗ Ganz gleich, ob dies nun (nach Tradition<br />

und Vorbild der »romantischen Ironie«) aus der Handlung selbst heraus geschieht oder<br />

durch einen Erzähler außerhalb der Handlung: das Wort muß immer wieder dazu<br />

verwendet werden, die Spielrealistik, die entstehen will, ausdrücklich zu zerstören. Wird<br />

das eine Weile versäumt, so bildet sich in Kürze diese realistisch-illusionistische<br />

Vorstellung bei den Zuschauern neu – ganz gleich, ob ein unrealistisches Bühnenbild sie<br />

davor bewahren will oder nicht. Die Auflösung der dreidimensionalen Realität geschieht<br />

nicht vom Bühnenbild, sondern wirksam und sicher allein vom Wort her: dadurch, daß von<br />

der Bühne herab immer wieder ad spectatores gesprochen wird, also aus der sich<br />

∗ Vgl. Karlheinz Braun, Die epische Technik in Max Frischs Roman Stiller. Dissertation Frankfurt 1959<br />

(vervielfältigt, nicht im Buchhandel). Darin eine Untersuchung über erzählte Zeit und »Erzählzeit« in<br />

diesem Roman und über die »Rückwendungen«.<br />

∗ Auch die Forderung Günther Weisenborns, »den szenischen Ablauf von zwei der drei aristotelischen<br />

Einheiten zu befreien«, seine »ortlose Dramaturgie«, gehört genau in diesen Zusammenhang.<br />

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