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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Die Auseinandersetzung mit dem Realismusproblem – das Thema der Hörspielgeschichte<br />

schlechthin – ist besonders in den Jahren vor und nach 1930 Kennzeichen aller<br />

Bemühungen um die junge Kunstform. Die Frage wird anfangs kaum im Zusammenhang<br />

mit der Sprache gestellt, man kalkuliert simpel: da es gilt, ohne sichtbare Welt<br />

auszukommen, will man im Text vermitteln, was mit den Augen nicht vermittelt werden<br />

kann. So ergibt sich jener umständliche Reportage-Dialog, der in einer mühsamen<br />

Unabsichtlichkeit, die aber leider immer spürbar bleibt und darum verstimmt, Kulissen<br />

aufzubauen versucht. Etwa: Lärm wird vorgeschrieben, Musik und Gläserklingen, durstige<br />

Gäste rufen; damit glaubt der <strong>Autor</strong> eine Realität erzeugen zu können, wie sie am Beginn<br />

von Goethes Götz hingestellt wird, wenn Sievers fordert: »Hänsel, noch ein Glas<br />

Branntwein, und meß christlich!« Auf mehr lyrische Art geschieht dasselbe, wenn<br />

empfindsam schweifende Dialogrepliken, ähnlich wie die Fausts im Osterspaziergang, zu<br />

nichts anderem dienen, als Landschaft und Szene zu beschreiben. All das wirkt auf dem<br />

Theater nicht so peinvoll absichtlich. Die Kulisse steht da, wird nur ergänzt, interpretiert,<br />

vielleicht erhöht, mindestens ist die Realität, wie sie mit dem Wort gezeichnet wird, durch<br />

konkrete Figuren repräsentiert. Im Hörspiel aber wandeln sich bei solcher<br />

Wirklichkeitsmalerei mit Worten die unkörperlichen Figuren sozusagen gleichzeitig zu<br />

versatzstückeschleppenden Bühnenarbeitern. Der Hörer merkt, ihm soll Realität durch die<br />

Ohren, statt über die Netzhaut, ins Gehirn gezwängt werden. Und da bricht dann die<br />

Sprache, gerade wenn sie auf sich allein gestellt wirken soll, unter der kompakten Last<br />

elendig zusammen.<br />

Im Laufe der Entwicklung, je mehr in Sicht kommt, was Hörspiel eigentlich sein müßte,<br />

stellt sich die Frage genau umgekehrt. Wie kann die Sprache, von der man doch<br />

Bildhaftigkeit verlangt, daran gehindert werden, kompakte Realität einzuschleppen? Man<br />

weiß inzwischen, daß die gleichsam »materielose« Sprache schwer zu erzeugen ist. Der<br />

dramatische Dialog setzt leibhafte Realität der Sprechenden und ihrer Situation voraus,<br />

und die epische, die naive und die reportierende Sprache sehen ihre Aufgabe gerade<br />

darin, reale Vorgänge, Dinge, Personen zu bezeichnen. Will das Wort aber nicht nur<br />

bezeichnen, sondern schaffen, so ist die künstlerische Absicht Lösung vom Realismus; es<br />

muß Welten geben, Vorgänge, Gleichnisse, Bilder, die allein durch Sprache existieren. In<br />

diesen Welten kann allerdings nicht jene Raum-Zeit-Kontinuität herrschen, in der man<br />

vom Montag nur über den Dienstag zum Mittwoch gelangt oder von der linken<br />

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