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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Stimmen und Lauten. Die Kiefer ächzt anders als die Birke, bei Wind anders als bei<br />

Sturm, und bricht anders bei Orkan als unterm Schlag der Axt; das Laub der Pappel hat<br />

eine andere Skala von Gewisper als das der Linde, der Buche, der Espe. Sogar das Gras<br />

kann man in winselnden und qualvoll pfeifenden Mikrolauten wachsen hören, wenn man<br />

hochempfindliche Mikrophone und Verstärker einschaltet; eine Aufnahme davon war vor<br />

dem Krieg die Attraktion bei Fremdenführungen im Berliner Schallarchiv; dennoch haben<br />

gerade damals die wenigsten das Gras wachsen gehört.<br />

Im Gegensatz zum Ausdruck des Schmerzes, den wir in solche Töne hinein interpretieren,<br />

können wir oft menschliche unartikulierte Seufzer nur dann als Signale von Lust und Leid<br />

unterscheiden, wenn wir den Seufzenden zugleich in die Augen blicken. Das Knurren und<br />

Jaulen der unbelebten oder animalischen Natur wiederum vermögen wir blind vielfach<br />

nicht einmal nach seiner Artzugehörigkeit zu erkennen. Bemerkenswert aber, daß gerade<br />

bei mechanischen Geräuschen, die nur durch Bewegung, nicht durch Seelenregungen<br />

zustandekommen, Ursprung und reale Bedeutung am eindeutigsten zu identifizieren sind:<br />

das Surren eines Motors, das Springen eines Steins, das Klingen fallenden Metalls. Doch<br />

wer hat nicht schon häufig nachts den Lustschrei der Katzen mit dem Angstwimmern von<br />

Menschenkindern verwechselt? Selbst bei mechanischen Geräuschen gilt, daß, je<br />

diffiziler und ausdrucksvoller sie sind, desto leichter ihr Ausdruck mißkannt wird.<br />

Andererseits: was nicht formbar, artikulierbar, ausdrucksmächtig ist, wie soll das neben<br />

dem unabsehbaren Ausdrucksreichtum der menschlichen Sprach- und Stimmittel<br />

bestehen?<br />

Darauf aber kommt es an: die Welt der Klänge soll ja nicht eine Verarmung, sondern eine<br />

Bereicherung bedeuten. Und hier wird also die ganze Verlegenheit bei Verwendung<br />

natürlicher Geräusche im Hörspiel deutlich. Nur diffizil und variabel können sie uns<br />

nützen, aber ihre Diffizilität ist zugleich auch ihre Grenze als selbständiger Ausdruck.<br />

Denn wo sie über wirkliche Fülle verfügen und fast zur Sprache werden, handelt es sich<br />

um keine artikulierte, verständliche Sprache. Die vieldeutigen Urlaute sind desto<br />

unheimlicher, je mehr es so wirkt, als wollten sie uns etwas mitteilen, ohne es zu können.<br />

Sie brauchen, wenn sie uns etwas sagen, uns nicht nur gruseln machen sollen, erst eine<br />

Übersetzung und Interpretation durch das Wort. Andererseits bedarf es nicht groben<br />

Ansprechens, sondern es genügen die leisesten Hinweise, um jedes Geräusch, sogar<br />

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