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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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erscheint: denn sie schaffen neue Aspekte, während die andern nur die alten in<br />

zweifelhafter Weise registrieren. 1677 gab Calderon zu Gerichtsprotokoll (bei dem es<br />

darum ging, die Maler vor zu großer Besteuerung zu bewahren), daß er Gott als Deus<br />

pictor, die Malerei als eine Nachahmung des Gotteswerks, den Maler als einen uomo<br />

universale ansehe. Damit meinte er gewiß nicht, daß naturgetreu abgepinselt wird, er<br />

meinte andere, größere Entwürfe. Die entscheidende Frage ist die Blickrichtung. Wer<br />

Türen oder Fenster öffnet, die sich in den Trennmauern zu Garten und Straße befinden,<br />

der holt Garten und Straße ins Haus. So auch, wer die Wände mit fiktiven Durchblicken<br />

bemalt, wer in Bildtafeln und Bühnentiefen schaut, in die Camera obscura oder in den vor<br />

ihm aufgebauten Fernsehbildschirm: ringsum Realität. Was aber geschieht, wenn wir über<br />

uns die Decke öffnen – zum Himmel hin, oder wenn wir unsere Ohren, deren Merkwelt ja<br />

auch eine Welt ohne Schwerkraft ist, plötzlich ins Unendliche schweifen lassen können?<br />

Während wir in umzirkten Gemächern sitzen, sind wir dann auf einmal gleichzeitig auch<br />

anderwärts, lauschen uns aus unsrer realen Welt in einen Raum der Phantasie hinein,<br />

den ein Künstler aufgebrochen hat, in eine jenseitige Welt. Gestalten, die gewichtslos<br />

scheinen, so sehr schwimmen ihre Konturen im übermäßig Hellen, schweben über uns.<br />

Und obwohl wir sie ganz körperlich sehen, ihre Gliedmaßen perspektivisch verkürzt, ihre<br />

Umrisse klar, ihr Fleisch unverwelkt, gleiten sie stumm oder durch eigene körperlose<br />

Beredsamkeit eleviert – hier durch die alles Dingliche überstrahlende Sprache, dort durch<br />

die alles Kompakte überstrahlende Lichtflut.<br />

Wir aber sind zwar noch im bewohnten Hause, doch zugleich auch in einem andern<br />

irrealen Zusammenhang, der nun zwar nicht unbedingt eine so einfache hierarchische<br />

Stufenordnung bildet wie im 18. Jahrhundert, aber trotzdem mit ihr erstaunliche<br />

Ähnlichkeiten hat – durch die eigentümliche Möglichkeit, daß in ihr alles zugleich sein<br />

kann: das Wirkliche und das Unwirkliche, das Bildlich-Anschauliche und das Allegorisch-<br />

Metaphorische, das Sein und das Bedeuten, das Heute und das Einst, das Nie und das<br />

Immer, der Augenblick höchster dramatischer Aktion und der gelassene epische Bericht.<br />

Alles aber wird zusammengefaßt durch die Einheit einer inneren Apperzeption, die<br />

gebannt erlebt, »wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen«, durch die lyrischen<br />

Zaubermittel von Licht und Farbe hier und Sprache da, die alle dinglichen Konturen und<br />

Profile überstrahlen und entstofflichen.<br />

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