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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Wochenprogramm gedruckt standen, und die damals jedem auffiel, muß auch Brecht<br />

bekannt gewesen sein. Er übernahm ihre Methode für den Lindberghflug. Doch erschrak<br />

er auch gleich wieder bei dem Gedanken, daß sich der aktiv-konzertierende Hörer-<br />

Sprecher allzu genüßlich in die Lindberghsituation hineinsteigern könne. Um ganz sicher<br />

zu sein, daß das nicht geschehe, machte er den noch groteskeren Vorschlag, der<br />

Lindberghpart solle kollektiv, chorisch, z. B. von einer Schulklasse, gesprochen oder<br />

gesungen werden: »Nur durch das gemeinsame Ich-Singen (»Ich bin Charles Lindbergh ...<br />

«) kann ein Weniges von der pädagogischen Wirkung gerettet werden.« Gerettet! Welche<br />

Angst vor den künstlerischen Ausdrucksmitteln – im gleichen Augenblick, da er sie so<br />

virtuos einsetzt! Im gedruckten Text heißt nun die entsprechende Rolle nicht »Lindbergh«,<br />

sondern »Die Lindberghs«.<br />

Allerdings auch diese Anweisung wurde bei der <strong>Baden</strong>-<strong>Baden</strong>er Aufführung, von deren<br />

Proben ein Photo dem Textabdruck im alten Versuche-Heft beigegeben ist, nicht befolgt,<br />

ebensowenig wie die Musik und die übrigen Partien dort durch den Radio-Lautsprecher<br />

wiedergegeben wurden. Dem Block aus Chor und Instrumenten, vor dem ein Schild »Das<br />

Radio« steht – es sind nicht »Knaben und Mädchen«, sondern Erwachsene – sitzt ein<br />

Einzelner unter dem Schild »Der Hörer« gegenüber, dazwischen steht Brecht mit dem<br />

Buch in der Hand. An der Wand allerdings im Spruchband die Aufforderung,<br />

mitzusprechen – unter dem Motto, das hinter einer gemeinplätzigen Formulierung<br />

schreckliches Banausentum verbirgt: »Tun ist besser als Fühlen!«<br />

Die komplizierten Vorstellungen, die all den vorgeschlagenen Maßnahmen zugrunde<br />

liegen, lassen sich durch die mitgelieferte Theorie und durch die übrigen bekannten<br />

Theorien Brechts nicht ohne Rest erklären. Offensichtlich soll, wie wenn Schüler ihre<br />

Aufgaben plappernd repetieren, Sprache bei dem Versuch nur dazu dienen, etwas<br />

einzupauken, was mit Sprache an sich nichts zu tun hat: Doktrin. Außerdem aber wirken,<br />

wie bei allen kommunistischen und totalitären Kollektivdarstellungen, natürlich auch quasiliturgische<br />

Vorstellungen mit – wobei man sich wieder einmal daran erinnern mag, daß die<br />

dramatische und die liturgische Form verwandten Ursprungs sind. Aber welch eine<br />

Verwirrung, versucht man die von Brecht geforderte Konfrontation liturgisch zu verstehen:<br />

dort »Das Radio« (also ein technischer Apparat) soll keineswegs die Rolle der Technik<br />

vertreten, sondern das Elementare, die ungeordnete Natur und das böse Gegenspiel zum<br />

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