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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Kopfhörer an den Ohren, mit einem selbstgebastelten Apparat, einer riesigen<br />

Akkumulatoren-Batterie und sogenannten »Rotkäppchenröhren« aus dem Weltkrieg, in<br />

unserer Berliner Vorortswohnung zum ersten Male den Glockenschlag von Big Ben<br />

vernahmen. Der Vergleich mit Kolumbus ist heute durch raketenangetriebene, hilflose<br />

Raumfahrer usurpiert. Dennoch: es waren Konquistadorengefühle, wenn man damals mit<br />

dem zarten Drahtspirälchen aus dem silbrigen Detektorstein Stimmen und Töne<br />

herauskratzte und dann gar mit der »Audion«-Röhre ferne Länder und Meere überbrückte.<br />

Unsere Unbefangenheit gegenüber der Technik war trotz der Erfahrungen eines<br />

sogenannten »Materialkrieges« grenzenlos.<br />

Die Rundfunkzeitschriften enthielten in der ersten Zeit umfangreiche Bastelbeilagen, und<br />

die synchronisierten Stundenprogramme aller europäischen Sender in der Zeitschrift<br />

Europastunde wurden jahrelang nicht deshalb gekauft, weil für die Hörer Aussicht<br />

bestand, den fernen Köstlichkeiten mit Genuß zu lauschen, sondern nur, weil die<br />

»Radioten« immer wieder das Bedürfnis verspürten, nachzuprüfen, ob sie wirklich diesen<br />

oder jenen Sender für ein paar Augenblicke über Hunderte von Kilometern mit Ach und<br />

Krach, vor allem mit Krach, »hereinbekommen« hätten.<br />

Ich glaube, daß die Funkbearbeitungen klassischer und moderner Dramen mit den<br />

Anfängen des Hörspiels weniger zu tun haben als diese Erscheinungen, die man mit dem<br />

Begriff »Hörspielerei« zusammenfassen könnte. Hier ist wirklich ab ovo begonnen<br />

worden. Alfred Braun hat mir mündlich berichtet, wie er einmal auch den Dichter Döblin in<br />

dessen Wohnung ertappte: Kopfhörer über den Ohren, eine schwarzlackierte Spule auf<br />

den Knien, den Detektorstift in der Hand, und wie er, Braun, erschrocken auf den Zehen<br />

stehen blieb, um den Lauschenden nicht zu stören. Dies muß einkalkuliert werden, wenn<br />

man Brechts, Benns, Döblins, Kasacks schöpferische Anteilnahme an dem Instrument<br />

Rundfunk begreifen will, um wieviel mehr bei den anonymen Hörern! Die<br />

Bastelleidenschaft war jahrelang ein künstlerisches Stimulans, ähnlich wie es die<br />

Theaterleidenschaft sein kann.<br />

Braun gesteht: »Zuerst haben wir, der Techniker und ich«, (es war offenbar nur ein<br />

gescheiter Studiotechniker da) »die Hörer aufgefordert, mit uns Geräuschexperimente zu<br />

machen. Wenn wir später dramatische Spiele senden wollten, konnte uns ja z. B. die<br />

Aufgabe gestellt werden, Eisgang wiederzugeben. Heute kann man sich mit einem<br />

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