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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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unnaturalistische Anwendung der Geräusche (der Eisenbahn, der Trommeln, der<br />

nagenden Termiten) als Signale kommenden Untergangs: das alles ist von jener<br />

monumentalen Schlichtheit, die von jeher das Kennzeichen des Bedeutenden war.<br />

Im Unterschied zum letzten Traum, der weniger ein vielschichtiges Gleichnis als nur eine<br />

nicht einmal sehr originelle Metapher darstellt (ausgehöhlt!), ist auch der erste Traum, der<br />

Eisenbahntraum, in Thema und Durchführung einer der eindrucksvollsten Entwürfe<br />

Eichscher Erfindungskraft. Im Ansatz enthält er schon sämtliche Fragen, die sich in Eichs<br />

Hörspielen bald darauf breit entfalten. Erstens Zweifel an der Wirklichkeit. Ist für uns allein<br />

das wirklich, was wir kennen, und nur, weil wir nichts anderes kennen? Die Wirklichkeit<br />

draußen, außerhalb des Waggons – erst noch geglaubt und als eine Art Religion<br />

überliefert –, wird bald angezweifelt, ja abgeleugnet. Schließlich, als man ihr dennoch<br />

plötzlich mit den Blicken begegnet, wird sie zu einem wilden Dämonenschreck. Zweitens<br />

Zweifel an der Sprache. Wird die Wirklichkeit vielleicht nur deshalb dämonisch,<br />

überwuchert sie deshalb, weil wir nicht mehr wissen, »welche Wörter dazugehören«? Ist<br />

Sprache ein Mittel, das Schreckliche zu bannen, damit nicht aus Löwenzahn Waldgebirge<br />

und aus Menschen mißwüchsige Riesen werden? Drittens Zweifel an der Zeit. »Keine<br />

Uhr, kein Kalender« vierzig Jahre lang! Alter und Tod nur noch als eine Form von<br />

Vermutung! Aber dann, als die Beschleunigung spürbar wird und die Frage des »Uralten«<br />

auslöst, die nicht minder unbeantwortet stehen bleibt als die Borcherts: »Hilft uns denn<br />

niemand?«, gewinnt der Zeitablauf auf einmal wieder beängstigende Realität. Im<br />

Angesicht des Todes gewinnt er Realität. Liegt im Tod die Chance unseres Lebens:<br />

Gewißheit?<br />

Man muß sich den Werken eines <strong>Autor</strong>s, will man ihm nicht Unrecht tun, mit seinen<br />

eigenen Begriffen, mit seiner eigenen Logik nähern. Es ist keine Schulfuchserei, wenn<br />

hier die Bilder und Szenen dieses ersten großen Eich-Hörspiels unter dem Gesichtspunkt<br />

ihrer Präzision als Gleichnisse überprüft werden. Mit dem Wort Träume hatte Eich auf<br />

lange Zeit den Begriff gefunden, mit dem er arbeiten konnte. Aber was bedeutet bei ihm<br />

dieser Begriff? Auf jeden Fall nicht jene vagen Gespinste, auf die das Reimwort Schäume<br />

paßt, nicht etwas Zufälliges und Unwillkürliches, das uns heimsucht wie ein unerwarteter<br />

Besuch aus einer anderen Wirklichkeit. Vielmehr meint Eich damit alles menschliche<br />

Denken, Dichten und Sagen überhaupt. Und er will keineswegs agnostisch ausdrücken,<br />

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