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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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sich die Hörspiele abspielen, die wir einschalten. Nun aber stehen nach dem Willen Knillis<br />

die schönen, jedoch sinnlosen und an nichts erinnernden Töne oder Geräusche oder die<br />

bis zur Unverständlichkeit zerstampften Texte leibhaftig vor uns als dreidimensionale<br />

»Hörgegenstände«. Unser Radioapparat ist nicht mehr der Vermittler einer mit<br />

technischen Mitteln von Menschen erzeugten Kunstwelt, sondern der Erzeuger einer<br />

ziemlich kompakten akustischen Gegenständlichkeit, die er aus seinem Lärmrachen<br />

ausspeit. Folgerichtig braucht Knilli auch die Menschen, die bisher die Welt der<br />

»herkömmlichen« Hörspiele erzeugen mußten, nicht mehr. Den Darsteller hat er schon<br />

ausgerottet, er kommt in seinem Büchlein nicht mit einem einzigen Wort vor. Nun rottet er<br />

auch noch den Dichter aus, unser Lautsprecher wird zusammen mit der Sendevorrichtung<br />

zum selbsttätigen Hörgegenständeerzeuger, der, ist er erst konstruiert, außer einer<br />

einmaligen Einstellung keiner menschlichen Hilfe mehr bedarf:<br />

»Man könnte sich eine Sendeanlage vorstellen, die, nur von einer kybernetischen Maschine<br />

gesteuert, ununterbrochen läuft und nach einem eingestellten Programm Spielnummern<br />

speichert, kombiniert, auswählt und ausstrahlt und gleichzeitig die in die Millionen gehenden<br />

Reaktionen, Wünsche und Impulse der Empfänger mitverarbeitet. Ein solch gigantisches Sendeund<br />

Empfangssystem könnte eine Art extemporiertes Totalfunkspiel hervorbringen, eine<br />

Commedia dell’arte des technischen Zeitalters.« ∗<br />

Man kann sogar, das wissen alle Praktiker, ungefähr voraussagen, wie diese von Knilli<br />

sehnlichst herbeigewünschte Commedia dell’arte des technischen Zeitalters klingen<br />

würde, wenn sie die Wünsche der Empfängermillionen berücksichtigt: etwa so – aber in<br />

unaufhörlichen Wiederholungen als Salonstück, Foxtrott, Militärmarsch und<br />

Weihnachtslied und mit etwas Elektronik und Hall garniert – wie Die Mühle im<br />

Schwarzwald.<br />

Bleiben wir also dabei, beim Hörspielhören von unserem Wohnzimmer und seiner Akustik<br />

abzusehen – falls diese Akustik nicht gar zu verquast ist, denn nur dann wird sie spürbar.<br />

Ferner wollen wir auch dabei bleiben, daß zwischen dem von Künstlern und Technikern<br />

geformten Schall und unserm Innern jenes leichte und lebhafte Spiel vor sich geht. Es<br />

funktioniert infolge der wunderbaren, fast unbegreiflichen Wechselbeziehung zwischen<br />

dem Wort und der menschlichen Phantasie, und man kann, wie es im Hörspiel geschieht,<br />

darauf spekulieren und das Wort noch durch allerlei Raumfarbe, Ton und Geräusch<br />

bereichern. So dringt es in uns ein – nicht, indem es, wie auf der Bühne, an<br />

∗ Die Ähnlichkeit mit den Schwärmereien in den Vorworten zu den Hörspielen Alfred Auerbachs und Th. H.<br />

Mayers von 1927 ist evident.<br />

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