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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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In dieser Eindimensionalität ist auch die Möglichkeit der Realitätsblende begründet, da im<br />

eindimensionalen Raum alle Arten von Wirklichkeit gleichberechtigt nebeneinander<br />

Bestand haben. Ebenso ist dadurch die Stilblende möglich, weil, während sonst nur das<br />

Epische eindimensional ist und die verschiedenen Tempora von Vergangenheit und<br />

Gegenwart auch verschiedene Arten von Realität, ergäben, nun alles sozusagen den<br />

gleichen Aggregatzustand hat.<br />

Über die Stilblende muß noch einiges gesagt werden; beschränken wir uns auf das<br />

Problem des Erzählers:<br />

Schon Kolb hat gesehen, daß die Rahmenerzählung durch eine anonyme Stimme ungut<br />

ist, daß das Erzählerproblem aber in einem ganz andern Licht erscheint, wenn eine der<br />

handelnden Personen des Hörspiels mit dem Erzähler identisch wird. Erzählt eine<br />

anonyme Stimme, so fehlt die Motivation, die Anschauung und darum das Vertrauen. Der<br />

Erzähler als handelnde Person aber bedeutet Vergegenwärtigung. Die Erzählung ist nun<br />

auf einmal nicht mehr bloß Information über äußere Vorgänge und gibt nicht bloß den<br />

Blickwinkel, aus dem alles gesehen wird sondern ist Konfession oder Zeugnis oder<br />

Meditation über bestimmte Erfahrungen des eigenen Lebens, über deren Sinn der<br />

Erzähler, wenn er die Vorgänge zu rekapitulieren beginnt, noch keine abgeschlossene<br />

Meinung hat. Die Szenen haben als innere Rekapitulation niemals reinen Präsens-<br />

Charakter, aber andererseits hat auch die Erzählung niemals den Charakter eines reinen<br />

Präteritums oder Perfektums.<br />

Es geht um etwas Imperfektes im wahren Sinne des Wortes, um Vergangenheit als noch<br />

wirkende, noch zu überprüfende, noch aufzuarbeitende, zurückgerufene, mit einem Wort:<br />

um Vergangenheit als Komponente der Gegenwart. Darum wird auch von allen<br />

Hörspieldichtern als selbstverständliche Regel akzeptiert, daß keine der Szenen innerhalb<br />

der Erzählung etwas enthalten darf, was der Erzähler nicht wissen kann, wobei er nicht<br />

irgendwie zugegen war, woran er nicht innersten Anteil nimmt. Der Erzähler wirkt im<br />

Hörspiel deshalb so werkgerecht, weil er noch deutlicher macht, als dies die Szenen<br />

ausdrücken können, daß alle Vorgänge ihren eigentlichen Schauplatz im Gewissen<br />

haben. Das gilt für Ellen Harland, die in Die Andere und ich erzählt, wie sie vierzig Jahre<br />

lang das Leben der italienischen Proletarierfrau lebte, für die Sterbende in Hirches<br />

Heimkehr, die ihr ganzes Leben noch einmal »auf ihr Gewissen nimmt«, und schließlich<br />

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