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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Vater, der mit seinem Söhnchen ein möbliertes Zimmer in einer Art Bordell bewohnen<br />

muß und der dort mit ihm, seltsam traumverloren und real zugleich, unberührt von den<br />

Abscheulichkeiten ringsum, Eisenbahn spielt: freilich nur in der Phantasie, denn nirgends<br />

ist ein Spielzeug vorhanden. In Versuchung finden zwei armselige Angler am Kanal eine<br />

treibende Leiche und in deren Taschen für ihre Verhältnisse sehr viel Geld, verlieren aber<br />

angesichts der Versuchung nicht etwa ihre Unschuld, sondern im Gegenteil: sie verlieren<br />

ihre Armseligkeit. Beide Szenen können als Modelle für das stehen, was Meyer-Wehlack<br />

will. Vordergründig, in der drucklosen Sprache und in der natürlichen Einfachheit des<br />

Dialogs, ist scheinbar ein neuer Naturalismus angestrebt, in Wirklichkeit aber geht es<br />

darum, ohne Beschönigung der alltäglichen Wirklichkeit den Beweis zu führen, daß der<br />

Mensch nicht bloß in dieser erbärmlichen Umwelt, sondern weit mehr in einer Welt<br />

traumhafter Freiheit seine Wohnung hat. Indem Meyer-Wehlack immer wieder ohne<br />

Aufhebens mitten im Alltagsgeschehen solche Wurzeln des Menschlichen bloßlegt,<br />

geschieht in seinen dem Umfang nach so bescheidenen kleinen Szenen nachträglich eine<br />

Korrektur oder mindestens eine wichtige Vervollständigung des naturalistischen<br />

Menschenbildes, das einseitig pessimistisch und sozialistisch war. Das hat aber – um<br />

Mißverständnisse auszuschließen – nichts mit jenem widerwärtigen Zweckoptimismus zu<br />

tun, der über seiner eigenen Sattheit und Wohlhabenheit ständig den Sozialismus für<br />

irrelevant hält, sondern weit eher mit jener Auffassung der Bergpredigt, derzufolge die<br />

Hungernden und die Armen im Geiste an einer Seligkeit teilhaben, von der die Gescheiten<br />

und Reichen ausgeschlossen sind.<br />

Muß eigens erklärt werden, wieso, angefangen von Frieds und Rys’ imaginativen Welten<br />

über Ilse Aichingers Stimmen-Spiele, Ingeborg Bachmanns Zikaden und über Weyrauchs<br />

visionäre Hörspielgedichte bis hin zu diesen »Psychologen«, die die Realität des Irrealen<br />

nachweisen, immer wieder auf andere Weise Hörspielform erfüllt wird?<br />

DAS SATIRISCHE UND POLITISCHE HÖRSPIEL: »SELBSTPORTRÄT<br />

DER ZEIT«<br />

Eher ist verwunderlich, daß – obwohl seit 1951 immer von den Träumereien im Hörspiel<br />

geredet wird, von seiner magischen, irrealen Art, die die Gegner »Gespensterspuk«<br />

schimpfen – dennoch soviel Zeitgeschichte und Zeitwirklichkeit in die Hörspiele<br />

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