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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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daß alles ein Nichts sei, sondern diese Träume sind ihm, Sprache ist ihm, richtig<br />

gehandhabt, das einzige Mittel, das es dem Menschen ermöglicht, sich der Wirklichkeit zu<br />

stellen, sich ihr anzunähern. Zwischen den Mädchen aus Viterbo und der Brandung vor<br />

Setúbal wird Eich dieses Verhältnis der Träume zur Wirklichkeit immer wieder in seinen<br />

Hörspielen präzisieren. Das unglückliche jüdische Mädchen Gabriele lernt bei seinem<br />

Großvater in einem langen, leidvollen Unterricht so träumen, daß es am Ende mit der<br />

Wirklichkeit fertig werden kann. Unsre Reife ist ein Prozeß mühevoller Annäherung unsrer<br />

eigenwilligen Träume an die Wirklichkeit.<br />

Diese Erkenntnis wird der nächste Schritt sein, den Eich tut, und deshalb ist es berechtigt,<br />

schon die Träume und auch die anderen Hörspiele aus der Träume-Periode, z. B. die<br />

beiden ersten, von 1951, unter diesem Gesichtspunkt zu sehen: Fis mit Obertönen, die<br />

Geschichte jenes beängstigenden Tons, den der Hörer nicht zu hören, sondern nur, weil<br />

er im Hörspiel immerfort gehört wird, zu ahnen bekommt. Und dann vor allem Sabeth,<br />

diese einzige Märchendichtung Eichs, in der er sich und uns erlaubt, einmal dem<br />

unwandelbaren Sein, der abgrundtiefen, schweigenden Ewigkeit in das runde Rabenauge<br />

zu schauen. Kinder, die in »abgelegenen Gehöften« wohnen, werden im Fluge durch den<br />

blendend-dunkelblauen Raum dieser jenseitigen Wirklichkeit mitgenommen. Und<br />

Dorfschullehrer, wenn sie noch ein bißchen ein neugieriges Kinderherz bewahrt haben,<br />

dürfen versuchen, von dem rabenhaften Abgesandten aus jener Welt ein Liebhaberphoto<br />

herzustellen. Allerdings ist am Ende auf dem Film nichts zu sehen, und auch die Feder,<br />

die aus Sabeths Flügel fiel, hat sich in einen Platanenzweig verwandelt.<br />

Diese Geschichte ist der glücklichste Traum, den Eich je geträumt hat. Damals hatte er<br />

sich noch nicht jene Bedingungen auferlegt, die der schulmeisterliche Großvater dann<br />

Gabriele zur Pflicht macht. Dieses eine Mal erlaubte er sich noch, vom Traum her die<br />

Wirklichkeit zu verändern, später kontrolliert er von der Wirklichkeit her seine Träume.<br />

DER GESCHICHTSSCHREIBER VERABSCHIEDET SICH<br />

Genau an dieser Stelle, mit den Träumen Eichs, endet, mindestens für mich, die<br />

Möglichkeit, weiter mit dem Anspruch eines Geschichtsschreibers aufzutreten. Zu<br />

Vorgängen, die weniger als ein Jahrzehnt zurückliegen, fehlt die historische Distanz;<br />

Differenzen von Monaten, oft sogar Jahren, sind in solchen Zeiträumen nicht mehr<br />

relevant. Noch mehr aber fällt ins Gewicht, daß ich im letzten Vierteljahr 1951 die<br />

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