02.03.2014 Aufrufe

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Privatmann <strong>und</strong>. Ursprungsmythos 105<br />

Debatte über den Holzdiebstahl verwendet Marx den Ausdruck „goldener<br />

Mammon" — Künzli: „den er <strong>der</strong> Bibel entlehnt hatte" (585). Viel wahrscheinlicher<br />

dürfte es sein, daß Marx den Ausdruck aus <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Volkssprache entlehnt hat, die ja mit biblischen Topoi reich durchsetzt<br />

war — <strong>und</strong> in geringerem Maße noch heute ist —, wie einst bei <strong>der</strong> Prägung<br />

des Bibel<strong>deutschen</strong> aufmerksamst dem Volke aufs Maul geschaut<br />

worden war. — Nun die Nutzanwendung <strong>der</strong> beiden Unterstellungen:<br />

„Marx stellte", in Künzlis angestrengter Version, „hier nämlich bereits<br />

den ,Gott' Geld als einen Gegengott dem ,Gott' Bewußtsein, neben dem<br />

keiner sein durfte, entgegen ..." (ebd.). Das zum Beweis angeführte Marx-<br />

Zitat zeigt aber nur, daß Marx das Bibelwort „Gib dem Kaiser, was des<br />

Kaisers ist" etc. abwandelt, also allenfalls Kaiser <strong>und</strong> Gegenkaiser Gott<br />

gegenüberstehen: „,... beruft ihr euch darauf, daß dem Kaiser zu geben,<br />

was des Kaisers, <strong>und</strong> Gott, was Gottes, so haltet nicht nur den goldenen<br />

Mammon, son<strong>der</strong>n wenigstens ebensosehr die freie Vernunft für den<br />

Kaiser dieser Welt..."' (ebd.). — Im nächsten Absatz folgt sogleich die<br />

nächste Unsauberkeit: im genannten Artikel habe Marx das Geld „zum<br />

ersten Male als ,Fetisch' bezeichnet" (ebd.). Liest man die angegebene Stelle<br />

nach, findet man etwas an<strong>der</strong>es: „Die Wilden von Kuba hielten das Gold<br />

für den Fetisch <strong>der</strong> Spanier..." (MEW 1, S. 147) — es geht also 1. um Gold<br />

<strong>und</strong> nicht um Geld schlechthin, <strong>und</strong> 2. ist es nicht Marx, <strong>der</strong> Gold mit<br />

einem Fetisch identifiziert, son<strong>der</strong>n „die Wilden von Kuba hielten das<br />

Gold für den Fetisch <strong>der</strong> Spanier", also 3. noch nicht einmal sie identifizierten<br />

das Gold mit dem Fetisch, son<strong>der</strong>n sie beobachteten empirisch, daß<br />

es bei den Spaniern eine Art Fetischcharakter hatte. — Marx' spätere<br />

Analyse des Fetischcharakters des Geldes weist auf, daß die scheinbar<br />

dingliche Werteigenschaft von Ware, Gold o<strong>der</strong> Geld in Wirklichkeit ein<br />

gesellschaftlicher Charakter ist, <strong>der</strong> eine soziale Beziehung — die <strong>der</strong><br />

privat-arbeitsteiligen Warenproduktion — ausdrückt <strong>und</strong> zugleich als<br />

blin<strong>der</strong> Regelmechanismus dieses Wirtschaftssystems funktioniert. Das<br />

Machwerk hat bestimmende Macht <strong>und</strong> scheint sie als Naturding zu haben.<br />

Diese Analyse nennt Künzli „das Geld dämonisieren" (586). Ebenda gelingt<br />

ihm auch die merkwürdige Formulierung vom Fetischcharakter <strong>der</strong><br />

Ware „als <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>substanz des Geldes" (587). Künzlis Urteil: „eine<br />

merkwürdige Art, Nationalökonomie zu treiben" (ebd.), ist keineswegs<br />

ungerecht, bezieht man es auf das, was seiner beschränkten Auffassung<br />

als die Theorie von Marx erscheint. Wir werden sehen, es wird noch viel<br />

merkwürdiger. Sehen wir einmal ab von den kleineren Kuriositäten ***<br />

(„Austauschware", „Gebrauchsware", Geld gleichgesetzt mit Äquivalentform,<br />

statt zu sehen, daß es das allgemeine Äquivalent selber ist etc.).<br />

Künzli ertappt Marx gleich im ersten Abschnitt des „Kapital" bei <strong>der</strong><br />

typischen Verdrängung: „Er ging in diesem Kapitel über den .Austauschprozeß'<br />

jedoch <strong>der</strong> Frage nicht nach, ob dieses Bedürfnis legitim sei o<strong>der</strong><br />

etwa <strong>der</strong> Habsucht o<strong>der</strong> Genußsucht entspringe, er suchte also nicht nach<br />

psychischen Motiven, son<strong>der</strong>n bloß nach ökonomischen" (608). Künzli wäre<br />

an Marxens Stelle viel klüger vorgegangen. Zum Glück hält er mit seinen<br />

*** Marx läßt, in durchaus tieferer Bedeutung, neben Leinwand, Rock<br />

<strong>und</strong> Branntwein die Bibel als Ware vorkommen. Dies geht unserm Helden,<br />

<strong>der</strong> doch ausgiebig unter Beweis gestellt hat, daß er an <strong>und</strong> für sich nicht<br />

gerade unter einem Übermaß an Feingefühl leidet, entschieden zu weit.<br />

„Ein Produkt...", seufzt er, „das sich an diesem Orte in dieser Funktion<br />

schlechthin unmöglich ausnimmt" (609). Jede Christliche Buchhandlung<br />

wird ihm da wi<strong>der</strong>sprechen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!