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Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

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36 Harts Manfred Bocîc<br />

Vorgehen zwar bewußt, daß angesichts <strong>der</strong> Selbstsucht <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Macht <strong>der</strong> herrschenden Klasse dieser Kampf aussichtslos ist, <strong>und</strong><br />

daß auf diesem Wege we<strong>der</strong> die endgiltige Befreiung <strong>der</strong> Arbeiterklasse<br />

möglich ist, noch irgend welche werthvollen For<strong>der</strong>ungen erreicht<br />

werden können, die sich selbst auf dem Boden <strong>der</strong> bestehenden<br />

gesellschaftlichen Ordnung bei einiger Opferwilligkeit <strong>der</strong> herrschenden<br />

Klasse verwirklichen ließen. Sie glaubt aber, kein Mittel<br />

unbenutzt lassen zu dürfen, welches die gegenwärtige Ordnung ihr<br />

darbietet 77 ."<br />

Im „Sozialist" wurde hingegen seit Beginn seines Erscheinens<br />

(Ende 1891) eine kompromißlos ablehnende Haltung gegenüber <strong>der</strong><br />

Parlamentsarbeit <strong>der</strong> Sozialdemokratie eingenommen, <strong>und</strong> die antiparlamentarische<br />

Agitation stand im Mittelpunkt <strong>der</strong> Versammlungen<br />

<strong>der</strong> Unabhängigen Sozialisten im Jahre 1892. Teistler faßte die<br />

Argumente, die in dieser Diskussion entwickelt wurden, zusammen 78 :<br />

Davon ausgehend, daß das Parlament „eine Institution ist durch<br />

welche die zu Zeiten machthabende Klasse ihre Herrschaft über die<br />

Besitzlosen ausübt" 79 , hielt er „eine positive Mitarbeit" auf Gr<strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> f<strong>und</strong>amentalen Interessenunterschiede zwischen Bourgeoisie <strong>und</strong><br />

Proletariat für unmöglich; das Parlament als Agitations-Tribüne zur<br />

Gewinnung <strong>der</strong> indifferenten Massen anzusehen sei verfehlt, weil —<br />

sofern dort überhaupt Prinzipielles verhandelt würde — das Volk<br />

davon vorwiegend durch den Filter <strong>der</strong> bürgerlichen Presse erfahre;<br />

auf die proletarischen Abgeordneten selbst wirke die Arbeit im Parlament<br />

notorisch korrumpierend; die „Autoritätenzüchterei" sei eine<br />

<strong>der</strong> bedenklichsten Seiten dieser Mitarbeit 80 . Die Unabhängigen<br />

Sozialisten glaubten, „daß sich die allgemeine soziale Revolution<br />

ohne parlamentarische Einrichtungen abwickeln wird" 81 .<br />

3. Hypostasiërung <strong>der</strong> revolutionären Massenaktionen: Für die<br />

Oppositionellen war die Parlamentsarbeit <strong>der</strong> Sozialdemokratie vor<br />

allem dafür verantwortlich, daß die proletarischen Massen nicht in<br />

eigener Aktion zum Bewußtsein ihrer Klassenzugehörigkeit gelangten.<br />

„Wie im Parlament die Vertreter für das Proletariat denken<br />

<strong>und</strong> handeln, <strong>und</strong> ihre Wähler, die Massen, so des eigenen Denkens<br />

<strong>und</strong> Handelns entwöhnen, so braucht sich auch die Parteigenossenschaft<br />

über die wichtigsten Angelegenheiten <strong>der</strong> Partei nicht mehr<br />

aufzuregen; ... auch hier die unserer Ansicht durchaus falsche Ver-<br />

77 Berliner Volks-Tribüne, 3. Jg. (1891), Nr. 32: Die Sozialdemokratie<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Parlamentarismus. Zur Kritik des Programmentwurfs. Vgl. auch:<br />

Berliner Volks-Tribüne, 4. Jg. (1892), Nr. 2, 4 <strong>und</strong> 6.<br />

78 Hermann Teistler, Der Parlamentarismus (a.a.O.). Die Schrift ging<br />

hervor aus einer Artikelserie in: Der Sozialist, 2. Jg. (1892), Nr. 3—13.<br />

79 a.a.O., S. 9.<br />

80 Diese wesentlichen Punkte <strong>der</strong> Kritik tauchen sämtlich wie<strong>der</strong> auf<br />

in <strong>der</strong> antiparlamentarischen Argumentation <strong>der</strong> Linken (beson<strong>der</strong>s um<br />

Anton Pannekoek), die sich aus <strong>der</strong> Massenstreikdebatte entwickelte <strong>und</strong><br />

während <strong>und</strong> nach dem Weltkrieg ausformuliert wurde.<br />

81 Hermann Teistler, a.a.O., S. 12.

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