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Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

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<strong>Geschichte</strong> 149<br />

gegen den Versailler Kriegsschuldvorwurf (<strong>der</strong> durch die Entdeckung<br />

entkräftet wird, daß schon Bismarck vorsichtige, maßvolle Friedenspolitik<br />

trieb!).<br />

Wie sieht nun die endgültig parteilich entschlackte „kritisch vertiefte<br />

Würdigung" (23) von heute aus? Man kritisiert Bismarcks Konservativismus,<br />

weil dieser zur Überschätzung <strong>der</strong> sozialistischen Gefahr<br />

verführt habe, seine Sozialpolitik, weil <strong>der</strong> Versuch, die politisch<br />

erwachten Arbeiter zu Staatsrentnern zu machen, zu spät gekommen<br />

sei, kurzum: man kritisiert vom Standpunkt <strong>der</strong> verfeinerten<br />

Herrschaftspraktiken des organisierten Kapitalismus aus. Selbst die<br />

jahrzehntelang für verbindlich gehaltene Außenpolitik Bismarcks<br />

wird relativiert, weil dieser statt europäischer „partnerschaftlicher"<br />

(25) Zusammenarbeit nationale Kabinettspolitik betrieben habe. Je<br />

weniger bewußt wird, daß <strong>der</strong> Maßstab, nach dem hier <strong>Geschichte</strong><br />

betrachtet <strong>und</strong> geschrieben wird, dem Stadium <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

<strong>der</strong> imperialistischen Län<strong>der</strong> entnommen ist, desto mehr erscheint<br />

<strong>der</strong> so geschaffene Bismarck als <strong>der</strong> „historische", desto mehr auch<br />

läßt er sich als losgelöstes Positiv- o<strong>der</strong>, wie hier, Negativvorbild für<br />

Herrschaftspraktiken verwenden.<br />

Uta Stolle (Berlin)<br />

Wehler, Hans-Ulrich: Bismarck <strong>und</strong> <strong>der</strong> Imperialismus.<br />

Kiepenheuer & Witsch, Köln,Berlin 1969 (582 S., Ln., 47,— DM).<br />

Der Hinweis, daß Geschichtswissenschaft politische Praxis anleiten<br />

wie inhibieren könne, ist trivial. Wehler versucht jedoch, diese unüberholbare<br />

Bedingung reflektiert auszunutzen (vgl. 24). Die Beteuerung<br />

des Verfassers, er orientiere sein Vorhaben an „Kritischer Theorie"<br />

(14, 497) hilft allerdings kaum weiter. Zumal die Theorie industriewirtschaftlichen<br />

Wachstums <strong>und</strong> krisenbedingten Imperialismus,<br />

die er präsentiert, ein Konstrukt von „Deutungshypothesen" ist;<br />

H. Albert mag zu Recht als Kronzeuge genannt werden (26). Mit <strong>der</strong><br />

schlechten Karikatur vom „Kritischen" einer „kritischen" Historie<br />

(vgl. 114, 497) durchbricht <strong>der</strong> Verfasser somit nur verbal das Gehege<br />

<strong>der</strong> legitimierenden <strong>und</strong> entlastenden „Bildungsmacht" <strong>Geschichte</strong>,<br />

wie sie sich nicht nur in den Aufsätzen <strong>und</strong> Traktaten zum<br />

Geschichts- <strong>und</strong> Gemeinschaftsk<strong>und</strong>eunterricht monoton durchhält.<br />

Implizit kommt Wehler weiter. Denn er fragt nach den Verfahren<br />

<strong>und</strong> Kosten, mit denen im beginnenden Hoch- <strong>und</strong> Konzentrationskapitalismus<br />

die Hegemonie (<strong>und</strong> die Profite) von „Pflug <strong>und</strong> Hochofen",<br />

von traditionellen <strong>und</strong> feudalisierten Eliten gegen die Emanzipationsstrebungen<br />

des aktivierten (Industrie-)Proletariats gesichert<br />

werden konnten. Zur Erklärung <strong>der</strong> krisenhaften sozioökonomischen<br />

Zuspitzung wie ihrer temporären Entschärfung in <strong>der</strong> Großen Depression<br />

(1873—96) arbeitet <strong>der</strong> Verfasser mit einer „eklektischen"<br />

(21) Theorie, mit <strong>der</strong> er die Hauptaspekte <strong>der</strong> industriell-kapitalistischen<br />

Revolution skizziert.<br />

In diesem Zusammenhang wird die Depression zutreffend beschrieben<br />

als endogene (51), zyklische Wachstumskrise. Diese sektorale<br />

Überproduktionskrise (18, 22) wurde verstärkt durch die über-

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