02.03.2014 Aufrufe

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Privatmann <strong>und</strong>. Ursprungsmythos 87<br />

Künzlis Programm ist das <strong>der</strong> Zurücknahme mit den Mitteln <strong>der</strong><br />

Interpretation. Im Zentrum steht <strong>der</strong> Versuch, das Werk ins Psychische<br />

seines Autors zurückzunehmen, daher <strong>der</strong> programmatische<br />

Untertitel „Eine Psychographie".<br />

Was am Ende herauskommt, stand von Anfang an fest: „Persönliches<br />

Schicksal <strong>und</strong> Werk von Karl Marx sind letztlich wohl nur verständlich<br />

als eine ungewöhnliche, im Persönlichen tragische, im Werk<br />

geniale Äußerung <strong>und</strong> durch den Selbsthaß dämonisierte Umgestaltung<br />

des alten Schicksals <strong>und</strong> <strong>der</strong> biblischen Botschaft des Judentums"<br />

(817). Das Buch setzt sich den Zweck, seine Leser zu einer <strong>der</strong>artigen<br />

Rezeption des Marxschen Werkes zu führen. Der Psychograph<br />

spielt den Psychagogen zum Reich <strong>der</strong> Schatten, um den verhaßten<br />

Marxismus in den Orkus zu stoßen. Sein hermeneutischer Umgang<br />

mit dem Werk <strong>und</strong> dem biographischen Material soll im folgenden<br />

untersucht werden.<br />

Wo Künzli sich anerkennend über Marx äußert, ist selbst die Anerkennung<br />

vernichtend gemeint <strong>und</strong> ein Mittel unter an<strong>der</strong>en im<br />

Rahmen einer Hermeneutik <strong>der</strong> Zurücknahme. Im oben zitierten<br />

Schlußsatz des Buches ist sie als zugestandene Genialität vertreten.<br />

Künzli rügt an Marx' Kritikern vom Schlage eines Tucker 23 , daß sie<br />

dem Marxschen Werk in ihrem Eifer kein Moment relativer historischer<br />

Berechtigung zugestehen wollen. Tucker übersieht, daß es viel<br />

wirksamer ist, die Leistung von Marx historisch — trotz ihrer allerdings<br />

bedauerlichen Einseitigkeit — zu würdigen <strong>und</strong> gerade dadurch<br />

zu relativieren. Künzli rechnet Tucker zwar an, daß er „einen partiellen<br />

Versuch einer psychoanalytischen Deutung von Marx" unternommen<br />

habe, „<strong>der</strong> allerdings gleich über das Ziel (!) hinausschießt<br />

<strong>und</strong> schon das Menschenbild Kants als das Bild eines Neurotikers bezeichnet"<br />

(500). Tucker deutet das „Kapital" als „,ein Drama des inneren<br />

Lebens des Menschen, des Selbst, das sich im Konflikt mit sich<br />

selbst befindet..."'. „Das ist gewiß eine legitime Deutung" (ebd.), räumt<br />

Künzli ein, nur schießt Tucker ein zweites Mal übers Ziel hinaus: Er<br />

hätte zugestehen sollen, daß <strong>der</strong> Marxschen Theorie — etwa den Begriffen<br />

Proletariat <strong>und</strong> Entfremdung — „sek<strong>und</strong>är in <strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong><br />

Marx lebte, doch auch eine Wirklichkeit" entsprochen habe (702).<br />

Künzli führt Marx zunächst ins neunzehnte Jahrh<strong>und</strong>ert zurück, „disqualifiziert<br />

ihn zwar als Wegweiser in die Zukunft, schmälert aber<br />

keineswegs sein historisches Verdienst" (596 f.). Man wird sehen, daß<br />

die historische Anerkennung <strong>und</strong> relativierende Würdigung nur ein<br />

untergeordnetes Moment im Rahmen von Künzlis hermeneutischer<br />

Strategie ist, ein versöhnliches Zugeständnis, das nur die oberflächliche<br />

Versüßung einer allseitigen systematischen Disqualifizierung<br />

von Person <strong>und</strong> Werk des Begrün<strong>der</strong>s des wissenschaftlichen Sozialismus<br />

ist. „Aber indem Marx den Akzent vom Bewußtsein auf das<br />

Sein verlagerte", hebt eine <strong>der</strong> Stellen historisch relativieren<strong>der</strong><br />

2a Robert C. Tucker: Karl Marx, Die Entwicklung seines Denkens von<br />

<strong>der</strong> Philosophie zum Mythos. München 1963. — Vgl. die Besprechung in<br />

Argument 47, 10. Jg. 1968, S. 230.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!