02.03.2014 Aufrufe

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die „Literaten- <strong>und</strong> Studenten-Revolte" 35<br />

Überschätzung <strong>der</strong> Möglichkeiten <strong>der</strong> Parlamentsarbeit durch die<br />

Fraktion <strong>und</strong> die Mehrheit <strong>der</strong> Partei. Diese Fehleinschätzung wurzele<br />

in einem falschen Verständnis des Staates. Man verkenne, daß<br />

<strong>der</strong> Staat nichts an<strong>der</strong>es sei als „die Organisation <strong>der</strong> Besitzenden<br />

zur Beherrschung <strong>und</strong> Knechtung <strong>der</strong> Besitzlosen" 71 . Man könne sich<br />

seiner Institutionen nicht für die Zwecke <strong>der</strong> Emanzipation des Proletariats<br />

bedienen. Die „staatssozialistischen Anwandlungen" 72 , ein<br />

Erbe Lassalles, führten zwangsläufig zu dem „Gedanken von einer<br />

allmäligen friedlichen Überführung <strong>der</strong> kapitalistischen Wirthschaftsweise<br />

in die sozialistische vermittelst <strong>der</strong> Sozialreform" 73 . Man<br />

träume „von einer Reichstagsmehrheit, die einfach den Sozialismus<br />

dekretieren wird" 74 . Das staatssozialistische Denken <strong>der</strong> Sozialdemokratie<br />

zeige sich u. a. daran, daß man einen gegen den Staatssozialismus<br />

gerichteten Passus aus einem Entwurf <strong>der</strong> Opposition in <strong>der</strong><br />

Endfassung des neuen, in Erfurt angenommenen Programms <strong>der</strong><br />

SPD gestrichen habe 75 . Diese Einstellung, die auf den Staat zähle<br />

statt ihn zu bekämpfen 76 , sei die Gr<strong>und</strong>lage für die positive Mitarbeit<br />

<strong>der</strong> Sozialdemokraten im Parlament.<br />

Auch hier verkenne man den unabän<strong>der</strong>lichen Klassencharakter<br />

<strong>der</strong> Institution. Die differenziertere Position in dieser Frage, die in<br />

<strong>der</strong> „Berliner Volks-Tribüne" vertreten wurde, war prinzipiell von<br />

<strong>der</strong> Nutzlosigkeit des Parlamentarismus überzeugt <strong>und</strong> warnte vor<br />

<strong>der</strong> „Überschätzung des Parlamentarismus". Sie hielt es aber dennoch<br />

für notwendig, daß die SPD auch im Parlament vertreten sei.<br />

Diese Position wird resümiert in einer Passage, die nach dem Willen<br />

ihrer Autoren den zweiten, praktischen Teil des Erfurter Programms<br />

<strong>der</strong> SPD hätte einleiten sollen: „Zu diesem Zweck betheiligt sich die<br />

sozialdemokratische Arbeiterpartei an den Wahlen für die gesetzgebenden<br />

Körperschaften <strong>und</strong> verficht in denselben durch ihre Abgeordneten<br />

die Interessen <strong>der</strong> Arbeiterklasse. Sie ist sich bei diesem<br />

71 Hermann Teistler, a.a.O., S. 6. Vgl. auch: Der Sozialist, 1. Jg. (1891),<br />

Nr. 2: Vom Wesen des Staates.<br />

72 a.a.O., S. 2. S. auch: Paul Kampffmeyer, Von Vollmar <strong>und</strong> die<br />

Sozialdemokratie, a.a.O., S. 17.<br />

73 a.a.O., S. 21.<br />

74 Hermann Teistler, a.a.O., S. 18. Vgl. auch: Bruno Wille, Vom rothen<br />

Götzen, in: Der Sozialist, 4. Jg. (1894), Nr. 30.<br />

75 a.a.O., S. 22 f. Der Passus lautete: „Die sozialdemokratische Partei<br />

hat Nichts gemein mit dem sogenannten Staatssozialismus, dem System<br />

<strong>der</strong> Verstaatlichung zu fiskalischen Zwecken, das den Staat an die Stelle<br />

des Privatunternehmers setzt <strong>und</strong> damit die Macht <strong>der</strong> ökonomischen Ausbeutung<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> politischen Unterdrückung des Arbeiters in einer Hand<br />

vereinigt."<br />

76 Diese Frage wurde in artikulierterer Weise wie<strong>der</strong> aufgegriffen in<br />

den Reihen <strong>der</strong> Linksradikalen in <strong>der</strong> SPD nach <strong>der</strong> Massenstreikdebatte.<br />

Vgl. dazu die Diskussion zwischen Anton Pannekoek <strong>und</strong> Karl Kautsky im<br />

Jahre 1912 in <strong>der</strong> „Neuen Zeit". Vgl. Pannekoeks Argumente in: A. Pannekoek/H.<br />

Gorter, Organisation <strong>und</strong> Taktik <strong>der</strong> proletarischen Revolution,<br />

Hrsg. H. M. Bock, Frankfurt/M. 1969, S. 49 ff.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!