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Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

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Erich Matthias' Apologie <strong>der</strong> SPD-Entwicklung 77<br />

„Wind die Organisation durch Kräfte von außen zerschlagen, dann<br />

bleibt immer noch in Millionen Köpfen <strong>und</strong> Herzen die Idee, <strong>und</strong> sie<br />

sichert auch die Wie<strong>der</strong>geburt <strong>der</strong> Organisation 88 ."<br />

Die Vermutung scheint berechtigt, daß eine <strong>der</strong>artige Vorstellung,<br />

die sicherlich nur in einer Partei entstehen konnte, in <strong>der</strong> politische<br />

Praxis einerseits <strong>und</strong> „sozialistisches Endziel" als von <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Realität losgelöste Utopie ohne jede politischen Konsequenzen<br />

an<strong>der</strong>erseits unvermittelt nebeneinan<strong>der</strong>standen, den Integrationsprozeß<br />

von Sozialdemokraten in den faschistischen Staat<br />

erleichtern konnte; dies insofern, als die Überzeugung, die „sozialistische<br />

Idee" sei über die Zeit des Faschismus hinweg zu retten,<br />

indem man ihr <strong>und</strong> <strong>der</strong> Partei innerlich „die Treue" hielte, ein<br />

politisch angepaßtes o<strong>der</strong> zumindest völlig passives Verhalten gegenüber<br />

dem faschistischen Staat rechtfertigen konnte.<br />

Die Tatsache, daß in parteioffiziellen Verlautbarungen nach 1945 89 ,<br />

in <strong>der</strong> offiziellen Parteigeschichtsschreibung 90 <strong>und</strong> in Memoiren von<br />

Sozialdemokraten 91 immer wie<strong>der</strong> betont wird, ihre sozialistische<br />

Gesinnung <strong>und</strong> ihre Parteitreue hätten auch die an illegaler politischer<br />

Tätigkeit nicht beteiligten Sozialdemokraten im Faschismus<br />

nicht preisgegeben, wirft ein Licht auf die Funktion, die <strong>der</strong> Verbreitung<br />

einer solchen These zukommt: nämlich die, das Image <strong>der</strong><br />

<strong>deutschen</strong> Sozialdemokratie als konsequent antifaschistischer Partei<br />

<strong>und</strong> das ihrer Mitglie<strong>der</strong> als selbst unter faschistischen Herrschaftsverhältnissen<br />

aufrechter Demokraten zu stärken. Indem Matthias<br />

unreflektiert die Ideologie von <strong>der</strong> „sozialistischen Gesinnungsgemeinschaft"<br />

übernimmt, erfüllt er offensichtlich diese Funktion.<br />

Zusammenfassend läßt sich über die Darstellung zur SPD-Entwicklung<br />

bei Erich Matthias, soweit sie hier untersucht wurde, sagen, daß<br />

sie we<strong>der</strong> zur theoretischen Durchdringung ihres Gegenstandes beizutragen<br />

vermag noch auch nur formalen wissenschaftlichen Ansprüchen<br />

gerecht wird. Was Matthias leistet, ist vielmehr dies: Parteigeschichte<br />

zu schreiben im Interesse <strong>der</strong> SPD-Führung, was konkret<br />

heißt, die Politik <strong>der</strong> SPD im präfaschistischen Deutschland <strong>und</strong><br />

das Verhalten von Sozialdemokraten in <strong>der</strong> Frühphase des faschistischen<br />

Deutschland zu rechtfertigen <strong>und</strong> Scheinlegitimierungen für<br />

den Antikommunismus zu liefern.<br />

Im Jahre 1948 suchte Kurt Schumacher den von ihm gestellten<br />

„Anspruch [<strong>der</strong> SPD] auf die Führung beim Neubau des <strong>deutschen</strong><br />

Staatswesens" mit <strong>der</strong> Feststellung zu legitimieren:<br />

88 Hier zit. nach einem Artikel aus <strong>der</strong> „Volksstimme", dem Organ <strong>der</strong><br />

SPD für das Saargebiet, Nr. 101 vom Dienstag, dem 2. Mai 1933.<br />

89 Vgl. etwa das Protokoll über die sozialdemokratische Parteikonferenz<br />

von Hannover, vom 5. bis 7. Oktober 1945, S. 9.<br />

90 Beispielhaft hierfür: Willi Eichler, H<strong>und</strong>ert Jahre Sozialdemokratie,<br />

Bonn o.J., S. 71 <strong>und</strong> Christian Paulmann, Die Sozialdemokratie in Bremen<br />

1864—1964, S. 159.<br />

91 Siehe z. B. Wilhelm Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, Teil 2,<br />

S. 497.

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