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Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

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164 Besprechungen<br />

Fahndung nach sozialistischer Literatur in den Kasernen) mit dem<br />

Anwachsen <strong>der</strong> Sozialdemokratie zur Massenpartei als unwirksam.<br />

Da auch die Betonung <strong>der</strong> formalen Disziplin nicht die gewünschte<br />

Wirkung zeitigte, sah sich die Armee gezwungen, den geistigen<br />

Kampf mit dem Gegner aufzunehmen, für den <strong>der</strong> Offizier „seiner<br />

Natur <strong>und</strong> seiner Ausbildung nach" allerdings gänzlich ungeeignet<br />

war <strong>und</strong> sich deshalb im „vaterländischen Geschichtsunterricht" auch<br />

nicht behaupten konnte. Versuche „mo<strong>der</strong>ner" denken<strong>der</strong> Offiziere,<br />

auf die Mentalität dieser Rekruten stärker einzugehen, dem Offizier<br />

das Image des „sozialen" zu verleihen <strong>und</strong> einen sozialk<strong>und</strong>lichen<br />

Unterricht einzuführen, scheiterten — wie Höhn tadelnd vermerkt —<br />

an <strong>der</strong> Borniertheit <strong>der</strong> herrschenden Klasse, die sich teilweise sogar<br />

im direkten Einspruch des Kaisers artikulierte. So blieb <strong>der</strong> Armee<br />

nichts an<strong>der</strong>es übrig, als sich wenigstens um ein „gutes militärisches<br />

Betriebsklima" zu bemühen. Auf die Frage „wofür wird gekämpft?"<br />

hatte sie aber keine glaubwürdige Antwort.<br />

Bessere Erfolge hatte <strong>der</strong> Kampf, den die Armee außerhalb <strong>der</strong><br />

Kasernen gegen die Sozialdemokratie führte. Als Instrumente fungierten<br />

hier: eine vom „Geist des Heeres" durchdrungene Lehrerschaft,<br />

die durch die „Schule <strong>der</strong> Armee" gegangen war; die Kriegervereine,<br />

die eine breite organisatorische Basis für die Ziele <strong>der</strong> Armee<br />

in <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft boten, <strong>und</strong> die Turn- <strong>und</strong><br />

Sportbewegung, die nach 1910 auch die militärische Ausbildung<br />

verän<strong>der</strong>te <strong>und</strong> so dem Offizier die Chance bot, sich als sportlicher<br />

Kamerad statt als Drillmeister darzustellen.<br />

Beson<strong>der</strong>s scharf tadelt Höhn die Pauschalurteile, die in <strong>der</strong> Armee<br />

über die Sozialdemokratie bestanden: Statt diese kollektiv als<br />

heeresfeindlich <strong>und</strong> antimilitaristisch abzutun, hätte die Armee Verbindungen<br />

zum revisionistischen Flügel anknüpfen <strong>und</strong> das Angebot<br />

bestimmter sozialdemokratischer Gruppen, sich an einer vormilitärischen<br />

Ausbildung zu beteiligen, aufgreifen <strong>und</strong> zur Steigerung <strong>der</strong><br />

Wehrkraft einsetzen sollen. Erst mitten im Ersten Weltkrieg, als die<br />

Sozialdemokratie ihre vaterländische Zuverlässigkeit längst bewiesen<br />

hatte, ging man zu einer vormilitärischen Ausbildung über, allerdings<br />

nur auf freiwilliger Basis, was Höhn für völlig unzureichend<br />

hält. Immerhin hatte man erkannt, daß die militärische Ausbildung<br />

durch eine „moralische Ertüchtigung" ergänzt werden mußte. Die<br />

konservativen Kräfte begriffen aber nach wie vor nicht, daß auch<br />

politische <strong>und</strong> soziale Konzessionen erfor<strong>der</strong>lich gewesen wären, um<br />

die Arbeiterschaft dauerhaft an die bestehende Ordnung zu binden.<br />

Als „Ironie <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong>" — <strong>und</strong> wohl auch als Trost — betrachtet<br />

es Höhn, „daß die Armee, die im Kampfe gegen den Sozialismus<br />

unterlegen war, nach dem Zusammenbruch von 1918 zur Stütze für<br />

die die Macht übernehmende Sozialdemokratie gegenüber den ultralinken<br />

Elementen wurde" (XV).<br />

Die Lektüre dieser gut belegten <strong>und</strong> auf breitem Quellenmaterial<br />

beruhenden Untersuchung macht deutlich, daß die herrschende Klasse<br />

seit Wilhelm II. eine Menge gelernt hat: das betrifft die Formen <strong>der</strong><br />

politischen Beeinflussung innerhalb <strong>und</strong> außerhalb des Militärs wie

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