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Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

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Privatmann <strong>und</strong>. Ursprungsmythos 107<br />

unterstellt Künzli geradezu gewohnheitsmäßig aber nichtsdestoweniger<br />

unf<strong>und</strong>iert, Marx handle überall von <strong>der</strong> Entfremdung. — Künzli hilft<br />

nach durch Manipulationen <strong>und</strong> Klitterungen am Text. Marx schreibt: „Um<br />

das Gold als Geld festzuhalten <strong>und</strong> daher als Element <strong>der</strong> Schatzbildung,<br />

muß es verhin<strong>der</strong>t werden zu zirkulieren o<strong>der</strong> als Kaufmittel sich in Genußmittel<br />

aufzulösen. Der Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch<br />

seine Fleischeslust" (MEW 23, 147). Künzli läßt den ersten, wesentlichen<br />

Satz weg <strong>und</strong> unterschlägt beim zweiten ohne Auslassungszeichen das<br />

Wörtchen „daher", welches seinem Leser hätte verraten können, daß <strong>der</strong><br />

Satz nur als Anschlußsatz, im Kontext, interpretiert werden darf. Dies ist<br />

bei weitem nicht alles. Künzli reißt aus ganz an<strong>der</strong>em Zusammenhang<br />

einen weiteren bildhaften Satz von Marx <strong>und</strong> schließt ihn unmittelbar an:<br />

„,Wie <strong>der</strong> Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach<br />

Geld, dem einzigen Reichtum.'" Durch den Anschluß entsteht <strong>der</strong> Eindruck,<br />

bei „seiner Seele" sei die Rede von <strong>der</strong> Seele des Schatzbildners,<br />

von dem <strong>der</strong> vorstehende Satz handelte, <strong>und</strong> es handele sich um die unbedingte<br />

Verabsolutierung des Geldes als des einzigen Reichtums. In Wirklichkeit<br />

stammt das zweite Zitat aus dem nächsten Abschnitt, wo es nicht<br />

mehr um Schatzbildung, vielmehr um das genaue Gegenteil, um Geld als<br />

Zahlungsmittel geht. Der Satz bezieht sich auf eine Geldkrise, <strong>und</strong> Marx<br />

stellt gerade das extreme Schwanken im Verhältnis zum Geld dar als Beispiel<br />

für die Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit des ökonomischen Systems, die sich hier<br />

als Gegensatz zweier sukzessiver Verhaltensweisen des Bourgeois darstellt.<br />

„Eben noch erklärte <strong>der</strong> Bürger in prosperitätstrunkenem Aufklärungsdünkel<br />

das Geld für leeren Wahn. Nur die Ware ist Geld. Nur das<br />

Geld ist Ware, gellt es jetzt über den Weltmarkt. Wie <strong>der</strong> Hirsch schreit<br />

nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen<br />

Reichtum" (MEW 23, 152).<br />

Künzlis Buch reiht Beispiel an Beispiel für solchen Umgang mit dem<br />

Text. Neben direkten Manipulationen am Wortlaut finden sich vor allem<br />

<strong>und</strong> durchgängig folgende Verfahrensweisen: Umkehrung <strong>der</strong> Informations-<br />

<strong>und</strong> Bedeutungsstruktur; Konstruktion falscher Zusammenhänge<br />

durch Klitterung von Sätzen, die aus unterschiedlichen Zusammenhängen<br />

gerissen sind; Überspielen des — oft f<strong>und</strong>amentalen — Unterschieds verschiedener<br />

Entwicklungsstufen <strong>der</strong> Theorie; schlichte Begriffsstutzigkeit,<br />

die aber durchaus ihr System hat usw. usf. Vor allem die in <strong>der</strong>artiger<br />

Literatur vielberedete „Entfremdungstheorie" bietet einen Anlaß, alle<br />

möglichen Fälschungstechniken gehäuft einzusetzen. (Vgl. etwa die Seiten<br />

594 bis 618.) — Die politische Krone setzt Künzli seinen Interpretationskunststücken<br />

auf in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Marxschen Theorie vom Verhältnis<br />

von Freiheit <strong>und</strong> Notwendigkeit im Sozialismus. Die wichtige Stelle im<br />

3. Band des „Kapital" (MEW 25, 828), wo Marx die rationelle <strong>und</strong> effektive<br />

Regelung des Produktionsprozesses als Basis <strong>und</strong> objektive Schranke zeigt,<br />

auf <strong>der</strong> „das wahre Reich <strong>der</strong> Freiheit ... aufblühen kann" mit Verkürzung<br />

des, Arbeitstages als Gr<strong>und</strong>bedingung, führt Künzli nicht nur auf<br />

„Altersskepsis" <strong>und</strong> „einen gewissen Intensitätsverlust des Heilsgeschichtlichen<br />

mit zunehmendem Alter" zurück (530), son<strong>der</strong>n er probiert es<br />

auch von <strong>der</strong> entgegengesetzten Seite, weil man nie wissen kann, ob nicht<br />

doch einer darauf hereinfällt: „es tönt beinahe", insinuiert er, „als ob<br />

Marx gemeint hätte: im Gr<strong>und</strong>e ist das Reich <strong>der</strong> Freiheit nicht von dieser<br />

Welt..." Rasch <strong>der</strong> Gegenangriff, um nicht selber ertappt zu werden:<br />

„Aber Marx hätte das nie so unmißverständlich gesagt" (531). Altersskepsis<br />

<strong>und</strong> prinzipiell mißverständlich-halbheitliche Ausdrucksweise von Marx<br />

sind Finten, Hilfstheoreme, zur Absicherung eines von Gr<strong>und</strong> auf verfälschenden<br />

Umgangs mit Leben <strong>und</strong> Werk von Karl Marx.

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