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Geschichte und Geschichtsschreibung der deutschen ...

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118 Besprechungen<br />

tigste Zeit ihres Lebens, die Arbeitszeit, eine sogenannte sterbende<br />

Zeit ist, die unschöpferisch <strong>und</strong> selbst bei größter Anstrengung von<br />

Langeweile erfüllt ist. 5. Der Arbeiter durchschaut die bürgerliche<br />

Kultur als System ideologischen Leerlaufs, versehen mit dem Zweck,<br />

den herrschenden Mächten zu dienen, wenn nicht nutzlos zu sein. Er<br />

zieht die Unbildung <strong>der</strong> Scheinbildung konsequent vor. So ist <strong>der</strong><br />

Arbeiter, mitmachend ohne sich zu identifizieren, <strong>der</strong> Revolutionär<br />

wi<strong>der</strong> Willen. Ein ernsthafter Anstoß genügt, um ihn in Bewegung<br />

zu setzen. In jedem Falle fühlt er sich sozial zurückgesetzt <strong>und</strong> verweigert<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft den faulen Friedensschluß, zieht sich zurück<br />

in zukunftsgerichtete Träume, die in krassem Wi<strong>der</strong>spruch zu seiner<br />

resignierten Anpassung stehen, <strong>der</strong> jede ernsthafte Tendenz zur<br />

Identifikation fehlt. Die resignierte Passivität wird in einem dialektischen<br />

Umschlag zu hoffnungsgeladener Aktivität, zur Gr<strong>und</strong>lage<br />

des Wi<strong>der</strong>standes, wenn die geschichtlichen Umstände dies erlauben.<br />

Daß die Arbeiterschaft <strong>der</strong> Verbürgerlichung kaum unterliegt, ist<br />

um so erstaunlicher, wenn man die Verbürgerlichung <strong>der</strong> Organisationen<br />

des Proletariats betrachtet, in denen an die Stelle revolutionärer<br />

Bewußtseinsbildung ökonomischer Praktizismus, an die<br />

Stelle <strong>der</strong> Theorie die Bürokratie getreten ist (233—241, vgl. auch<br />

145—147).<br />

In unvermitteltem Wi<strong>der</strong>spruch zu dieser mehr von spekulativen<br />

Konstruktionen <strong>und</strong> vom Wunschdenken beeinflußten Beschreibung<br />

eines Klassenbewußtseins <strong>der</strong> Arbeiterschaft (die Konstruktion erinnert<br />

an die des Proletariats als identisches Subjekt-Objekt in<br />

Lukäcs' „<strong>Geschichte</strong> <strong>und</strong> Klassenbewußtsein" <strong>und</strong> hat denselben<br />

Stellenwert: die fehlende ökonomische Analyse durch ein „dialektisches<br />

Umschlagen des Bewußtseins" zu ersetzen) erklärt Kofier dennoch<br />

die Tendenz zur allgemeinen Integration als bestimmende Erscheinung<br />

<strong>der</strong> spätkapitalistischen Gesellschaften, obwohl er auf eine<br />

Analyse <strong>der</strong> verschiedenen sozio-ökonomischen Bestimmungen <strong>der</strong><br />

einzelnen spätkapitalistischen Län<strong>der</strong> verzichtet. Er beschreibt sie<br />

folgen<strong>der</strong>maßen: Die formalen Freiheiten in <strong>der</strong> Gestaltung des<br />

privaten Lebensbereichs gestatten dem Individuum das Bewußtsein,<br />

<strong>der</strong> traditionellen sexuellen Tabus <strong>und</strong> moralischen Vorschriften<br />

nicht mehr achten zu müssen. Diese bewußte Enttabuisierung, die<br />

das Weitergelten <strong>der</strong> Tabus, die bis in das psychische Innere <strong>der</strong><br />

Individuen reichen, nicht aufhebt, wird erkauft durch die freiwillige<br />

Unterwerfung im öffentlichen Leben, durch den Beweis <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Zuverlässigkeit. Die Freiheit wirkt sich also im Dienste<br />

<strong>der</strong> repressiven Ordnung so aus, daß sie geradezu als ein Mittel <strong>der</strong><br />

Repression eingesetzt werden kann. Die scheinbare Durchbrechung<br />

<strong>der</strong> Tabus wird durch Techniken <strong>der</strong> Verkaufsför<strong>der</strong>ung zum Konsumzwang<br />

<strong>und</strong> erhält so systemstabilisierenden Charakter. Die so<br />

erzeugten scheinhaften Bedürfnisse sind identisch geworden mit dem<br />

falschen Bewußtsein, weshalb die Tatsache <strong>der</strong> Entfremdung aus<br />

diesem Bewußtsein getilgt worden ist (11—14 <strong>und</strong> 185—205, den<br />

gängigen Beschreibungen <strong>der</strong> „repressiven Entsublimierung" nichts<br />

hinzufügend).

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