31. 10. 2009 - pdf-Format 1,73 mB - Prof. Dr. phil Horst Tiwald

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Im Westen schlummert die Idee vom Geist als Widersacher der Seele. Das
Wissen, die Meinung, das Denken usw. schränken hier angeblich die Erkenntnis
der "Wahrheit" ein.
So kommt es dann zu Annahme, dass man das, was man nicht für
möglich hält, einem auch nicht erscheinen könne. Immer geistert
der aristotelische Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit
durch die westliche Weltanschauung.
Dies wird dann so gedacht, dass dann die Möglichkeit nicht mehr eine
formlose Kraft, sondern eine "vorgeformte Noch-Nicht-Wirklichkeit" ist:
• einerseits soll dann in Gott diese Vorgeformtheit vorweg eingefaltet
sein und der Mensch soll dann analog nur erkennen können,
was er vorweg schon für möglich hält;
• andererseits darf aber dieses „Vorweg“ im Menschen noch nicht
als Vorstellung ausgeformt sein, weil dadurch die Wirklichkeit
verstellt werden würde.
Also geht es dann im westlichen Konzept darum, nicht voreilig die angeblich
im Geist schlummernde und vorgeformte Möglichkeit zur Vorstellung
werden zu lassen, da sonst das Erscheinen der Dinge entmöglicht werden
würde.
Nun sind aber in unserem Geiste keine schlummernden vorgeformten
Möglichkeiten, wie es der Idealismus und die Theologie
bräuchte, sondern nur Erfahrungen, d.h. aufgehobene "Nichtmehr-Wirklichkeiten",
welche dann als Chancen (als "Noch-nicht-
Wirklichkeiten") angesehen werden können.
Was bei ECKHART ähnlich ist wie in östlichen Texten, das ist die innere
Erfahrungen von zwei Modi des Begegnens mit der Wirklichkeit, d.h. dem
Seienden:
• einerseits ein "unmittelbares Begegnen"
• und andererseits ein "durch Erfahrung und Denken vermitteltes
Begegnen".
Wobei aber meiner Ansicht nach:
gerade die "Schau" naturhaft ist im Gegensatz zum "reflexiv
vermittelten Erkennen", das "nicht unmittelbar naturhaft", sondern
"erfahrungshaft" und daher nur "mittelbar naturhaft" ist.