31. 10. 2009 - pdf-Format 1,73 mB - Prof. Dr. phil Horst Tiwald

254
Sie selbst kann sich dabei souverän im Netz bewegen, ohne sich
zu verfangen und festzukleben.
Da geht es der Spinne plötzlich wie dem berühmten Tausendfüßler,
der gefragt wurde, wie er so gekonnt seine vielen Beine bewege
und koordiniere.
Mit einem Schlag konnte sich nun auch die Spinne in ihrem selbst
gesponnenen Netz nicht mehr bewegen und wurde so zur zappelnden
Fliege, die nun gezwungen ist, ohne von der Stelle zu
kommen, mit Leidensgenossen in anderen Netzen zu
kommunizieren.
In ihrer Redseligkeit wurden sich dadurch die zappelnden Fliegen
gegenseitig zu Garanten ihres Seins.
Die zappelnden Fliegen genügen sich nun selbst und sind in ihrem
Plaudern so voll mit sich selbst beschäftigt, dass sie meinen,
über etwas anderes als über Spinnennetze und das vielfältige
Zappeln in ihnen gar nicht mehr reden zu können und deshalb
schweigen zu müssen."
Mein Gleichnis ist also im Grunde gar keine Geschichte über eine „hungrige
Fliege“, sondern eine Geschichte über eine „mutierende Spinne“, die
statt die Wirklichkeit einzufangen und sich von ihr zu ernähren, nun gefangen
träumt, von Klatsch und Tratsch leben zu können.
Über das "Wirklichkeitsprinzip der Sprache" muss man vielleicht schweigen,
weil man ja gar nicht weiß, was damit gemeint ist.
Aber das bedeutet doch nicht, dass die Sprache über die Wirklichkeit
nicht reden kann und deswegen schweigen muss.
Da nun aber Sprache selbst auch eine Wirklichkeit ist, so kann man auch
über Sprache sprechen.
Man darf nur eben nicht das "Reden über Sprache" mit dem "Reden über
die mit der Sprache jeweils gemeinte Wirklichkeit" verwechseln.
So ist auch das "ausschlachtende Reden über Gleichnisse" noch
nicht ein "Reden über das mit dem Gleichnis Gemeinte"