Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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Daniel-Rops beschreibt, wie sich dieser „Sumpf“ in Deutschland vertieft und Unsicherheit<br />
und Angst vor <strong>der</strong> Zukunft erzeugt. Das bewirkt, daß „zwei Fünftel <strong>der</strong> von<br />
Natur aus friedlichen Bevölkerung zu einer Herde wil<strong>der</strong> Schafe“ werden. 1 Solche<br />
Metaphern sprechen für sich und veranschaulichen aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Zeitschrift die<br />
Lage in Deutschland.<br />
Aber soviel besser geht es den Franzosen zur Zeit nicht. Auch bei ihnen macht sich<br />
jetzt mit etwas Verspätung die Weltkrise bemerkbar, die an<strong>der</strong>e Industriestaaten wie<br />
eben Deutschland, England und die USA schon seit 1929 im Griff hat. <strong>Die</strong> Preise<br />
fallen, Frankreichs Anteil an <strong>der</strong> Weltindustrieproduktion sinkt, Unternehmen und<br />
Banken schließen. <strong>Die</strong> Arbeitslosenzahl ist mit 260 000 im Jahr 1932 zwar immer<br />
noch gering im Vergleich zu Deutschland, aber auch schon um 115 000 höher als im<br />
Jahr zuvor, und sie steigt ständig. <strong>Die</strong> zur Währungsstabilisierung in diesem Jahr<br />
eingeführte Deflationspolitik bewirkt eine weitere Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kaufkraft und Erhöhung<br />
<strong>der</strong> Arbeitslosenzahl. 2 In diesem Punkt haben also die Franzosen nichts von<br />
Brüning gelernt, <strong>der</strong> zwei Jahre vorher den Weg <strong>der</strong> Deflation mit katastrophalem<br />
Resultat beschritten hatte. Da aber, wie gesagt, in Frankreich die Arbeitslosenzahl<br />
noch nicht so hoch ist und sogar noch Fremdarbeiter beschäftigt werden 3 , wiegen sich<br />
die Franzosen zur Zeit noch in Sicherheit und mit ihnen <strong>Vie</strong> int.<br />
In Deutschland hingegen regieren bereits die „Generäle Hunger, Verzweiflung und<br />
Demütigung“, so Daniel-Rops weiter. 4 Seine Analyse <strong>der</strong> sozialen Mißstände ist präzise.<br />
So würden sich die „Hitlerbanden“ aus dem ruinierten Mittel- und Kleinbürgertum<br />
rekrutieren, weil dieses seine Stellung in <strong>der</strong> gesellschaftlichen Hierarchie<br />
eingebüßt habe. Hingegen würden die Arbeitslosen und die am meisten gequälten<br />
Menschen mit Sicherheit kein Hakenkreuz anstecken. 5<br />
Nach Ansicht <strong>der</strong> Zeitschrift drückt diese verzweifelte Lage Deutschlands schwer auf<br />
Europa. <strong>Die</strong> Weltwirtschaftskrise habe die Zustände dort noch verschlimmert, denn<br />
das Land befindet sich schon seit zehn Jahren in Not. Daniel-Rops befürchtet deshalb<br />
Schreckliches für die Zukunft. Dabei schätzt er das Risiko eines Krieges im Moment<br />
als gering ein. 6<br />
Hitler kommt folgerichtig nicht gut weg. Daniel-Rops muß zwar zugeben, daß sich<br />
die Hoffnung <strong>der</strong> Deutschen auf ihn und Hindenburg konzentriert 7 , aber er sei ja nur<br />
ein „österreichischer Abenteurer“ und „am Hitlertum das am wenigsten interessante<br />
Phänomen“. 8 Er verkörpere nur - sozusagen zufällig – das, was das Volk sich<br />
1 <strong>Vie</strong> int. a.a.O., S. 277<br />
2 Bloch, a.a.O., S. 374, 375, 381. Zur Entwicklung <strong>der</strong> Außenhandelsbilanz und <strong>der</strong> Deflationspolitik,<br />
siehe ausführlicher auch: Duroselle, a.a.O., S. 80, 81<br />
3 Bloch, a.a.O., S. 377<br />
4 <strong>Vie</strong> int., April-Juni 1932, S. 278<br />
5 a.a.O., S. 277<br />
6 <strong>Vie</strong> int., a.a.O.<br />
7 Von <strong>der</strong> Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten am 10. April 1932 und dem Sturz Brünings am<br />
30. Mai 1932 schreibt die Zeitschrift nichts.<br />
8 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 276<br />
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