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Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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niert zu sein. Er ist Philosoph und vertritt den konservativen Flügel <strong>der</strong> christlichen<br />

Existenzphilosophie. 1<br />

Das Deutschlandbild, wie es sich bisher in <strong>der</strong> Kommentierung <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Ideologie zeigt, hat zwei Seiten. Es spiegelt positiv die Kraft, Dynamik und<br />

Technikfreude des neuen Staates, es zeigt als dunklen Aspekt die Abkehr vom Christentum<br />

und die Hinwendung zu heidnischen Lehren. In diesem Punkt sieht <strong>Vie</strong> int.<br />

auch die einzige Gemeinsamkeit, die die vielen nationalsozialistischen Strömungen<br />

zusammenhält: „Une hostilité commune au catholicisme”. 2 Ansonsten glaubt sie<br />

jetzt, Mitte 1935, nicht mehr, daß <strong>der</strong> Nationalsozialismus diese innere Einigkeit<br />

besitzt, wie in Frankreich lange angenommen wurde. <strong>Die</strong> Macht des Nationalsozialismus<br />

bestreitet sie nicht, aber sie beginnt, Verunsicherungen zu spüren. Das deutsche<br />

Beharren auf dem Mythos erscheint <strong>Vie</strong> int. verschwommen. So hat sie z.B. das<br />

Gefühl, die deutsche Außenpolitik beruhe weniger auf rechtskräftigen Verträgen als<br />

auf „feudalen Bindungen“ 3 .<br />

Von feudalen Bindungen kann natürlich keine Rede sein. Tatsache ist aber, daß Hitler<br />

zwischen 1933 und 1935 keine nennenswerten außenpolitischen Erfolge vorweisen<br />

kann. Im Gegenteil: <strong>der</strong> Austritt aus dem Völkerbund am 15. Oktober 1933 und<br />

<strong>der</strong> Nichtangriffspakt mit Polen (26.1.34), das eigentlich Objekt von Gebietsansprüchen<br />

war, gelten nicht als Meisterleistung <strong>der</strong> Außenpolitik. 4<br />

Deutschland bringt sich bis zum Sommer 1935 immer mehr in außenpolitische Isolation.<br />

5 Deshalb erstaunt die Feststellung <strong>der</strong> <strong>Vie</strong> int., daß „Au mythe du pangermanisme,<br />

le parti hitlérien a substitué actuellement le mythe de l’Europe”. 6 Da<br />

diese Aussage nicht näher erläutert wird, kann sie nur den Wunsch Hitlers meinen,<br />

den europäischen Kontinent völkisch-rassisch umzugestalten. 7<br />

Merkwürdigerweise glaubt <strong>Vie</strong> int. nicht, daß die verschiedenen Tendenzen in <strong>der</strong><br />

Ideologie die Partei spalten und den Nie<strong>der</strong>gang des Nationalsozialismus bewirken<br />

könnten. Im Gegenteil: Sie sieht die Hitlerbewegung noch im Aufstieg begriffen. 8<br />

Das beruhigt sie naturgemäß nicht, son<strong>der</strong>n löst Ungewißheiten aus. 9 Ist <strong>der</strong> Nationalsozialismus<br />

nun konservativ o<strong>der</strong> sozial-kollektivistisch? Dominiert die konkrete<br />

preußische Generalität o<strong>der</strong> die diffuse mystisch-germanische Stimmung? <strong>Die</strong>se<br />

1 Lagarde/Michard, XX e siècle, Bordas 1973, S. 675. Zahlreiche Veröffentlichungen zeigen sein Engagement<br />

in tagespolitischen Auseinan<strong>der</strong>setzungen. 1964 erhält er den Friedenspreis des Deutschen<br />

Buchhandels.<br />

2 <strong>Vie</strong> int., 25.7.1935, S. 307<br />

3 a.a.O.<br />

4 Vgl. Gebhardt, Bruno: Handbuch <strong>der</strong> Deutschen Geschichte, a.a.O. S. 217-219. Vgl. zu den angesprochenen<br />

Ereignissen aus französischer Sicht, hier: Kapitel „Außenpolitik” und „<strong>Die</strong> Saarfrage”.<br />

5 Wendt, Bernd-Jürgen: Außenpolitik, in: Benz, W.; Graml, H.; Weiß, H. (Hrsg.): Enzyklopädie des<br />

Nationalsozialismus, a.a.O. S. 71<br />

6 <strong>Vie</strong> int., 25.7.1935, S. 307<br />

7 Hitler: Mein Kampf, Zentralverlag <strong>der</strong> NSDAP, München 1925/27, z.B. S. 731-732, 742, 754<br />

8 <strong>Vie</strong> int., 25.7.1935, S. 307<br />

9 Mit <strong>der</strong> Formulierung „Les incertitudes du national-socialisme” lehnt sich <strong>Vie</strong> int. an Pierre Viénots<br />

Buchtitel Les incertitudes allemandes an; vgl. <strong>Vie</strong> int., Jan.-März 1932, S. 135-142; hier: Kapitel:<br />

„Deutschlandeindrücke und die beiden Nachbarn im Vergleich”.<br />

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