Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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feindlichen Rechten und <strong>der</strong> militant antifaschistischen Linken tun. 1 Sie empfinden<br />
vielmehr Scham bei <strong>der</strong> Vorstellung, einen gefährdeten Verbündeten aufgegeben zu<br />
haben. 2<br />
Ein an<strong>der</strong>er Autor, Jaques Maurice, sieht voraus, daß Deutschland nach dem Münchner<br />
Abkommen seinen wirtschaftlichen Einfluß auf dem Balkan ausbreiten wird. 3 Er<br />
glaubt, daß selbst die USA die deutsche Bedrohung fühlen und langsam beginnen<br />
aufzurüsten. 4 Mit einer unbestimmten und zögerlichen Haltung sei kein Krieg abzuwenden,<br />
tadelt er seine Landsleute. 5<br />
Auch <strong>der</strong> kirchliche Leitartikler, Christianus, findet keine Ruhe. Er appelliert an das<br />
Gewissen Frankreichs 6 , und mittels rhetorischer Fragen nimmt er aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong><br />
Moraltheologie subtil eine Verurteilung <strong>der</strong> französischen Haltung vor. Jedoch räumt<br />
er ein, daß aus Gründen <strong>der</strong> Kriegsvermeidung das Nachgeben dem deutschen Aggressor<br />
gegenüber als „weise“ bezeichnet werden könne. 7<br />
Wie man sieht, ist <strong>der</strong> religiös geprägte Flügel <strong>der</strong> <strong>Vie</strong> int. also durchaus gespalten,<br />
was das Münchner Abkommen angeht. Einerseits wird ein Krieg, wenn es ein Verteidigungskrieg<br />
wäre, als legitim betrachtet - eine erstaunliche Konzession -, an<strong>der</strong>erseits<br />
werden Nie<strong>der</strong>lage und Demütigung hingenommen, wenn damit <strong>der</strong> Frieden<br />
gerettet wird 8 ; eine Einstellung, mit <strong>der</strong> Christianus wie<strong>der</strong> ganz auf christlicher Linie<br />
liegt.<br />
Pierre Henri Simon 9 schlägt den Bogen von den Politikern zu den Schriftstellern und<br />
stellt fest, daß es auch unter ihnen „Munichois“ und „Antimunichois“ gibt. Zu ersteren<br />
zählt er Jean Giono. Ihn attackiert er mit <strong>der</strong> rhetorischen Frage, warum er nicht<br />
vorschlage, daß man sich gleich Deutschland unterwerfe und Deutscher werde? Das<br />
sei doch noch besser als Krieg. 10 Simon stuft Giono als „gefährlichen Poeten“ ein,<br />
<strong>der</strong> ein „hitlerisiertes Frankreich“ wolle, in dem die „verängstigte Herde“ (die Franzosen)<br />
„mit gesenktem Kopf“ durch eine „totalitäre Welt“ geht, statt „mit Mut und<br />
Ehrgefühl zu reagieren“. 11<br />
Auch Jules Romains findet aufgrund seiner optimistischen Zukunftsvisionen nicht<br />
die Zustimmung Simons. Zwar sehe Romains zu Recht im Münchner Abkommen<br />
1 Frankreich-Lexikon, II, a.a.O., S. 100<br />
2 Rémond, a.a.O., S. 233<br />
3 <strong>Vie</strong> int., 25.10.1938. S. 249<br />
4 a.a.O., S. 251<br />
5 a.a.O., S. 252<br />
6 <strong>Vie</strong> int., 10.11.1938, S. 338<br />
7 a.a.O., S. 340<br />
8 a.a.O., S. 339, 340<br />
9 <strong>Vie</strong> int., 25.3.1939, S. 340. P.H. Simon, 1903-1972: Literaturkritiker, Philosoph und Essayist; lehrte<br />
bis 1938 an <strong>der</strong> Université catholique de Lille; langjähriger Mitarbeiter bei zahlreichen christlich<br />
und politisch orientierten Zeitschriften, u.a. Sept, Esprit, l’Aube, Temps présent, Le Monde; Mitglied<br />
<strong>der</strong> Académie Française.<br />
10 „J’aime mieux être Allemand vivant que Français mort ... Mieux vaut cent ans comme brebis qu’un<br />
seul jour comme lion“; a.a.O.<br />
11 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 341<br />
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