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Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...

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daß die Juden keine beson<strong>der</strong>e Rasse im biologischen Sinne seien, weil die Menschen<br />

sich seit Urzeiten vermischen. Menschen unterschieden sich lediglich in ihren<br />

Mentalitäten, die ihrerseits historisch und ethnisch bedingt seien. Insofern sei die<br />

Messung <strong>der</strong> Rassenmerkmale, wie die Deutschen sie vornähmen, völlig unbrauchbar.<br />

1<br />

In <strong>der</strong> deutschen Rassentheorie sieht Maritain eine <strong>der</strong> schlimmsten Verfehlungen <strong>der</strong><br />

Menschheit. Indem sie behauptet, <strong>der</strong> Mensch stamme vom Affen ab und sei nicht<br />

von Gott geschaffen, negiere sie die christliche Glaubenslehre. Das sei brutaler Materialismus.<br />

2 Maritains Verurteilung Deutschlands ist aber nicht absolut. Es spricht für<br />

den besonnenen Geist dieses Philosophen, daß er nicht das ganze deutsche Volk mit<br />

Rassisten und Heiden gleichsetzt, wie Le Fur es tat. Er ist sich sicher, daß in <strong>der</strong><br />

germanischen Kultur <strong>der</strong> Vorrat an positiven menschlichen Eigenschaften noch nicht<br />

aufgebraucht sei. 3<br />

Es ist erstaunlich, daß Maritain bei aller Verdammung <strong>der</strong> heidnisch-rassistischen<br />

Auswüchse noch Verständnis für das Denken und Handeln <strong>der</strong> Deutschen aufbringt.<br />

Es sei doch nachvollziehbar, so Maritain, daß ein Volk, das von einer schrecklichen<br />

Nie<strong>der</strong>lage gebeutelt und von moralischem Ruin und materiellem Elend erfaßt wurde,<br />

sich von Mythen illusionieren lasse und bereitwillig die Idee vom jüdischen Sündenbock<br />

aufgreife. 4 Maritains Argumentation zeugt von einer leicht bivalenten Haltung.<br />

Er ist antideutsch, was die heidnische Rassenideologie betrifft. Das heißt aber<br />

nicht, daß er projüdisch ist, auch wenn er das Schicksal <strong>der</strong> Juden beklagt. 5 Maritain<br />

kann den Antisemitismus <strong>der</strong> Deutschen verstehen.<br />

An<strong>der</strong>s sieht das Marc Scherer. Er ermahnt seine Glaubensbrü<strong>der</strong> und die katholische<br />

Intelligenz (ohne Namen zu nennen), sich nicht von dem „rassistischen Irrtum“ beeinflussen<br />

zu lassen:<br />

Plus ou moins insidieusement, l’erreur raciste peut se glisser en toute conscience<br />

et nous savons bien que, dans notre pays, elle a déjà des adeptes qui ne<br />

dédaigneraient pas de proliférer dans les rangs catholiques. Il n’est pas sûr que<br />

nos intelligences soient immunisées contre toutes ses atteintes. 6<br />

Er kritisiert diejenigen seiner Landsleute, die dem Antisemitismus applaudieren und<br />

sich freuen würden, wenn die Juden von allen wirtschaftlichen und politischen<br />

Schalthebeln entfernt würden, und die die antisemitischen Ausschreitungen als be-<br />

1 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 21<br />

2 a.a.O., S. 20<br />

3 a.a.O., S. 38<br />

4 <strong>Vie</strong> int., 25.2.1938, S. 17-19<br />

5 <strong>Die</strong>se Einstellung teilt er z.B. mit dem gleichgesinnten Georges Bernanos, <strong>der</strong>, ebenfalls von <strong>der</strong><br />

Action Française kommend, in seinem Buch „La Grande Peur des bien-pensants“ schreibt, daß man<br />

die Juden nicht hassen sollte, obwohl sie in <strong>der</strong> nationalen Gemeinschaft ein Problem darstellten.<br />

Gewisse Funktionen in Politik und Erziehung sollten ihnen verwehrt werden; Winock: Nationalisme<br />

..., a.a.O., S. 403-404<br />

6 <strong>Vie</strong> int., 25.5.1938, S. 47<br />

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