Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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plädiert für einen Angriffskrieg zum jetzigen Zeitpunkt, weil sich in Frankreich ab<br />
Mitte <strong>der</strong> 30er Jahre <strong>der</strong> durch den 1. Weltkrieg verursachte Geburtenrückgang auswirken<br />
wird. 1 Tolédano schätzt die militärische Stärke Frankreichs in <strong>der</strong> ersten<br />
Hälfte <strong>der</strong> 30er Jahre im Vergleich zu Deutschland richtig ein. Er ahnt die verhängnisvollen<br />
Konsequenzen <strong>der</strong> französischen Friedenspolitik. Deshalb ist er gegen die<br />
von den Linken gefor<strong>der</strong>te Abrüstung. 2<br />
Ein paar Monate später erscheint Tolédano <strong>der</strong> Ausdruck „Abrüstung“ schon als ein<br />
„Anachronismus“. 3 Deutschland habe mittlerweile seine Militärausgaben <strong>der</strong>art gesteigert,<br />
daß sich Frankreich gezwungen gesehen habe, am 17. April 1934 die Verhandlungen<br />
mit ihm zu beenden. Damit ist die Abrüstungskonferenz, die seit Februar<br />
1932 in Genf tagt, endgültig gescheitert. Deutschland hatte sie bereits am 14. Oktober<br />
1933 verlassen, zum selben Zeitpunkt, zu dem es auch aus dem Völkerbund ausgetreten<br />
war. 4 So wurde die Rolle des Völkerbundes insgesamt in Frage gestellt. Im<br />
ersten Drittel <strong>der</strong> 30er Jahre verliert er an Durchsetzungsfähigkeit. <strong>Die</strong> erwartete Abrüstung<br />
verwandelt sich in eine allgemeine Aufrüstung. 5 <strong>Die</strong>se Entwicklung erkennt<br />
Tolédano vollkommen richtig.<br />
Er stellt in einer ausführlichen Dokumentation die Memoranden vor, die seit Anfang<br />
1934 zwischen den beteiligten Staaten Deutschland, England, Frankreich und Italien<br />
über die wechselseitige Auf- und Abrüstung zur Erlangung eines militärischen<br />
Gleichgewichts ausgetauscht wurden. 6 Daraus geht hervor, daß Tolédano den Schritt<br />
<strong>der</strong> französischen Regierung gutheißt.<br />
Mit dem Abbruch <strong>der</strong> Verhandlungen ist nicht nur die Beendigung <strong>der</strong> Rüstungsgespräche<br />
verbunden, son<strong>der</strong>n auch die Entscheidung Frankreichs, von nun an selbst<br />
für seine Sicherheit zu sorgen. 7 <strong>Die</strong>se Entscheidung wird in den kommenden Jahren<br />
in <strong>der</strong> Außenpolitik ausschlaggebend. Sie fällt allerdings in eine Zeit, in <strong>der</strong> die Wirtschaft<br />
in Frankreich stagniert und innenpolitische Instabilität und Korruptionsskandale<br />
das parlamentarische Regime insgesamt in Frage stellen. 8<br />
<strong>Die</strong> beginnende Aufrüstung läßt den als Deutschlandspezialist geltenden Robert<br />
d’Harcourt, „ancien combattant“, Patriot, konservativ und sehr katholisch, nicht an<br />
die Friedensbeteuerungen Hitlers glauben. 9 Um dieses „Blöken nach Frieden“ zu<br />
wi<strong>der</strong>legen, zitiert er aus Mein Kampf. Er warnt seine Leser beson<strong>der</strong>s vor dem absoluten<br />
Zerstörungswillen Hitlers gegenüber Frankreich. 10<br />
1 <strong>Vie</strong> int., 10.1.1934, S. 55<br />
2 Bloch, a.a.O.<br />
3 <strong>Vie</strong> int., 10.5.1934, S. 434<br />
4 Hierzu und zum folgenden, vgl. Poidevin/Bariéty, a.a.O., S. 377-379<br />
5 Vaïsse, Maurice: Société des nations: les illusions de la paix, in: Winock, Michel: Les Années trente.<br />
De la crise à la guerre, Editions du Seuil, Paris 1990, S. 187<br />
6 <strong>Vie</strong> int., 10.5.1934, S. 435-452<br />
7 <strong>Vie</strong> int., 10.5.1934, S. 452<br />
8 Girault, René: La trahison des possédants, in: Winock, a.a.O., S. 151<br />
9 <strong>Vie</strong> int., 10.7.1934, S. 87<br />
10 a.a.O., S. 90<br />
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