Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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Einen Menschenverlust wie im Ersten Weltkrieg, so die allgemeine Ansicht, könne<br />
sich Frankreich nicht noch einmal leisten.<br />
Drei Monate später knüpft André Sidobre (= Maurice Schumann) in <strong>der</strong> <strong>Vie</strong> int. wie<strong>der</strong><br />
an die Friedensdebatte an. Er mißtraut dem Friedensangebot, das Hitler am 6.<br />
Oktober 1939 im Reichstag machte und mißbilligt, daß Hitler seine Verbrechen,<br />
nämlich die wi<strong>der</strong>rechtliche Aneignung und Zerstörung fremden Staatsgebietes, von<br />
einer Friedenskonferenz sanktionieren lassen will. 1 Frankreich lehnt ab und England<br />
auch. 2 Sidobre schätzt die Situation so ein, daß Hitler den Krieg nicht beenden kann,<br />
den er ausgelöst hat. Er habe sich diplomatisch und militärisch isoliert. 3<br />
Sidobre glaubt auch nicht, daß Pius XII, <strong>der</strong> am 24. Dezember 1939 zum Frieden<br />
mahnt, Gehör finden wird, denn Hitler habe ja am Tag nach seiner Machtergreifung<br />
gesagt, „Deutschland wird Europa sein o<strong>der</strong> gar nicht sein“. 4 Nach Meinung Sidobres<br />
wird es Hitler aber nicht mehr gelingen, einen Frieden zu diktieren. Er glaubt, daß es<br />
erst dann Frieden geben kann, wenn Deutschland besiegt ist. 5 Sidobre erweist sich<br />
wie<strong>der</strong>um als guter Deutschlandkenner. In einer Rückschau auf die letzten Jahre<br />
verdeutlicht er seinen Lesern, warum Hitler den Krieg wollte und nicht den Frieden. 6<br />
Mit „Erpressung, Einschüchterung und tödlicher Gewalt“ sei es ihm gelungen, „drei<br />
Län<strong>der</strong> von <strong>der</strong> europäischen Karte zu streichen“. 7 Sidobre zeichnet ein Bild, das<br />
schwärzer nicht sein kann: das Hitlerreich werde sich nicht damit begnügen, Län<strong>der</strong><br />
ohne Kriegserklärung zu überfallen. „Es unterwirft sie, es rottet sie aus, es beseitigt<br />
sie, ohne sich die Mühe zu machen, mit ihnen wenigstens einen Sklavenvertrag abzuschließen.“<br />
8<br />
Sidobre erläutert auch die Auswirkungen, die <strong>der</strong> Friedensappell des Papstes in Italien<br />
ausgelöst hat; nämlich Unstimmigkeiten mit <strong>der</strong> italienischen Regierung. Obwohl,<br />
laut Sidobre, zwischen dem Vatikan und Rom Einvernehmen darüber besteht, daß<br />
<strong>der</strong> Frieden wie<strong>der</strong>hergestellt werden muß und daß sich Italien aus dem Krieg heraushält<br />
9 , wolle die italienische Regierung nicht auf die Verfolgung ihrer Interessen in<br />
Süd-Tirol, im Donauraum und auf dem Balkan verzichten. 10<br />
Sidobre vollzieht in seinem Kommentar zum Friedensappell des Papstes und <strong>der</strong> festen<br />
Haltung Italiens eine Gratwan<strong>der</strong>ung. Aus Loyalitätsgründen müßte er sich dem<br />
Papst anschließen; das tut er aber nicht. Er befürwortet den Krieg, von dem er glaubt,<br />
1 <strong>Vie</strong> int., 25.1.<strong>1940</strong>, S. 49, 50<br />
2 Bloch, a.a.O., S. 517<br />
3 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 53<br />
4 a.a.O., S. 54-56<br />
5 <strong>Vie</strong> int., 25.1.<strong>1940</strong> S. 59<br />
6 a.a.O., S. 55, 56<br />
7 a.a.O., S. 55; (Österreich, Tschechoslowakei, Polen)<br />
8 a.a.O., S. 56<br />
9 obwohl es <strong>der</strong> Stahlpakt mit Deutschland vom 22. Mai 1939 eigentlich zum Beistand verpflichtete<br />
10 <strong>Vie</strong> int., 25.1.<strong>1940</strong>, S. 59-63<br />
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