Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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Unter dem Einfluß des Versailler Vertrags<br />
Zunächst ein Überblick über die deutsch-französischen Beziehungen, die mit dem<br />
Kriegsende 1918 einen neuen Anfang nehmen. 1 <strong>Die</strong> ganzen zwanzig Jahre bis 1939<br />
werden in Frankreich von <strong>der</strong> Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden getragen. Der<br />
Start in die neue Epoche verläuft in Frankreich und Deutschland höchst unterschiedlich:<br />
Frankreich freut sich über den Sieg, während die sich unbesiegt fühlende deutsche<br />
Generalität von einem „Dolchstoß in den Rücken“ spricht. Nach dem Waffenstillstand<br />
wird Deutschland von revolutionären Umtrieben erschüttert. Es gewinnt<br />
mühsam den inneren Frieden zurück und erhält am 19. Januar 1919 eine republikanische<br />
Verfassung. Das Regime in Frankreich ist dagegen stabil, muß sich aber mit<br />
sozialen For<strong>der</strong>ungen befassen. Hier kündigen sich schon Gegensätze an, die zur Zeit<br />
<strong>der</strong> Volksfront starke Ausmaße annehmen werden.<br />
Sehr negativ für das Verhältnis bei<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> wirkt sich die Tatsache aus, daß es<br />
zwischen den Siegern und Deutschland keine wirklichen Verhandlungen gibt. Das<br />
Reich empfindet das Ergebnis <strong>der</strong> Friedenskonferenz als Diktat. <strong>Die</strong>s trübt über all<br />
die Jahre die Sicht auf den französischen Nachbarn. Aber auch Frankreich muß sich<br />
den Visionen Wilsons von Frieden, Wirtschaftsliberalismus und Bündnissystemen<br />
fügen. Es büßt dadurch viel von seiner Vorrangstellung auf dem Kontinent ein. Sein<br />
Wunsch, Deutschland klein zu halten, wird nicht erfüllt.<br />
Im neu gegründeten Völkerbund sieht Deutschland ein weiteres Unterdrückungsinstrument;<br />
denn es wird bei seiner Gründung ausgeschlossen. Frankreich dagegen<br />
sieht darin einen Schutz gegen ein wie<strong>der</strong>erstarkendes Deutschland. Es ist besessen<br />
von seiner Furcht vor Deutschland, dessen Kräfte 1919 nicht so erschöpft sind wie<br />
die französischen. Das demographische Potential ist trotz <strong>der</strong> Kriegsverluste viel höher,<br />
und Deutschland hat die Kohle, die Frankreich zur Eisenverhüttung fehlt. Es gibt<br />
also große Ungleichgewichte zwischen den beiden Län<strong>der</strong>n. Militärisch und politisch<br />
ist Frankreich überlegen, wirtschaftlich und demographisch Deutschland. In dem<br />
Maße wie Frankreich über die Abrüstung Deutschlands wacht, knüpft es auf dem<br />
Kontinent ein Netz aus Allianzen. Deutschland fühlt sich davon eingekreist und bedroht.<br />
Beide Län<strong>der</strong> treten deshalb nach dem Waffenstillstand in eine Phase des „Kalten<br />
Krieges“ ein. Deutschland lehnt die wirtschaftliche Bestrafung durch den Versailler<br />
Vertrag ab, Frankreich besteht darauf. Der Kampf um Revision bzw. Erfüllung des<br />
Vertrags beginnt und dauert etwa bis 1923. Eckpunkte dieses Kampfes, bei dem es<br />
immer wie<strong>der</strong> um Reparationszahlungen und <strong>der</strong>en Absicherung geht, sind das<br />
„Londoner Ultimatum“, <strong>der</strong> Vertrag von Rapallo zwischen den Deutschen und den<br />
Sowjets und die Besetzung des Ruhrgebietes. Mit diesem Schlag gegen das wirtschaftliche<br />
Machtzentrum Deutschlands will Frankreich seine sich seit 1919 ständige<br />
verschlechternde Position wie<strong>der</strong> aufbessern. Das gelingt ihm auch. <strong>Die</strong> Deutschen<br />
1 Dabei sind die größeren Etappen weitgehend historisch belegt und erforscht. Deshalb werden hier<br />
nur Vergleichsmomente evoziert, die zum Verständnis des französischen Deutschlandbildes beitragen,<br />
das die <strong>Vie</strong> int. in den 30er Jahren prägt. Als Referenzquelle liegt das Standardwerk von Raymond<br />
Poidevin und Jacques Bariéty: Frankreich und Deutschland. <strong>Die</strong> Geschichte ihrer Beziehungen,<br />
1815-1975; Verlag C.H.Beck, München 1982, S. 295-409, zugrunde.<br />
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