Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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Seiner Ansicht nach kann Hitler nichts machen, ohne immer einen Teil seiner Anhängerschaft<br />
zu enttäuschen. Habe er z.B. anfangs die schlechte Behandlung <strong>der</strong> Juden<br />
gebilligt, sei sein Ansehen im Ausland gesunken. Nach Befehl, die Verfolgungen<br />
zu unterlassen, habe es Unmut bei den Braunhemden gegeben. Als weiteres Beispiel<br />
führt Montabert die Wut <strong>der</strong> intellektuellen und bürgerlichen Kreise an, als Hitler<br />
seine Sturmtruppen vergrößerte, weil er damit die Arbeitslosigkeit bekämpfen und<br />
die Machtstellung <strong>der</strong> Reichswehr schwächen wollte. <strong>Die</strong>s seien Mißerfolge, die die<br />
Stellung Hitlers unterminierten. 1<br />
Hinzu sei im Inneren die Bedrohung durch einen Mann gekommen, den einzigen, den<br />
er wirklich gefürchtet habe: General von Schleicher. <strong>Die</strong>ser habe von rechts bis links<br />
hohes Ansehen genossen und eine feste Stellung in <strong>der</strong> Reichswehr gehabt, die Hitler<br />
gefehlt habe. Montabert macht Hitler für den Mord an Schleicher und seiner Frau<br />
verantwortlich. Nach außen hin sei <strong>der</strong> Fall in Deutschland vertuscht worden, aber<br />
für ihn, Montabert, ist klar, daß Hitler sich im Gebrauch seiner Macht wenig sicher<br />
fühle, daß er sich nur mit einem Handstreich an <strong>der</strong> Macht halten könnte. Für Montabert<br />
ein Vorgang ohne Beispiel. 2<br />
Im Rückblick ist interessant, daß <strong>der</strong> Zusammenhang, in dem <strong>der</strong> Mord geschah,<br />
nicht weiter evoziert wird. Der Name Röhm fällt nicht, ebensowenig ist vom sogenannten<br />
„Röhm-Putsch“ die Rede, <strong>der</strong> in den deutschen Zeitungen groß aufgehängt<br />
worden war und <strong>der</strong> ein dreitägiges Morden zur Folge hatte, bei dem auch das Ehepaar<br />
Schleicher umkam. Denkbar ist, daß Montabert die Kenntnis von diesem Terrorakt<br />
bei seinen Lesern voraussetzt, denn er schreibt an einer Stelle: „On connaît le<br />
drame“. 3<br />
Aus Fest geht jedoch hervor, daß „in keiner <strong>der</strong> zahlreichen Verlautbarungen des 30.<br />
Juni von einem Putsch o<strong>der</strong> Putschversuch Röhms die Rede“ war, „son<strong>der</strong>n stattdessen<br />
von ‘schwersten Verfehlungen’, von ‘Gegensätzen’, ‘krankhaften Veranlagungen’“...<br />
4 Da es tatsächlich keinen Putsch <strong>der</strong> SA unter Röhm gegeben hat, wurde dieser<br />
Begriff auch zunächst nicht gebraucht. 5 Fest schreibt, daß dies erst später geschah,<br />
in einer amtlichen Version, die sich vielfach bis in den heutigen Sprachgebrauch<br />
erhalten hat. 6<br />
Was Montabert gut durchschaut, ist das monatelange Machtgerangel zwischen Hitler,<br />
Reichswehr und SA, nur die Schlußfolgerung, die er aus dem Ergebnis des „Röhm-<br />
Putsches“ zieht, ist falsch. Statt in Hitler den Politiker zu sehen, <strong>der</strong> nun keine Rivalen<br />
mehr hat, glaubt er, daß Hitler am Ende ist:<br />
1 <strong>Vie</strong> int., 25.7.1934, S. 253<br />
2 a.a.O., S. 256-257. So sieht das auch Nolte, a.a.O., S. 426<br />
3 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 256<br />
4 Fest, a.a.O., S 637<br />
5 <strong>Die</strong> Affäre Röhm ist aus einschlägigen historischen Quellen bekannt. Vgl. z.B. Benz, u.a. (Hrsg.),<br />
a.a.O., S. 703-705; Fest, a.a.O., S. 619-660; Gebhardt, a.a.O., S. 192-194. Nolte spricht von „einer<br />
Kriegshandlung mitten im Frieden“; a.a.O., S. 424<br />
6 Fest, a.a.O.<br />
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