Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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oux ist davon überzeugt, daß <strong>der</strong> nationalsozialistische Staat die Menschen drangsaliert,<br />
indem er ihnen politische Zwänge auferlegt, in die Familien eindringt und sie<br />
nach seiner Façon formen will, und daß er angeblich wertvolleres Leben entwickeln<br />
will, indem er Kranke sterilisiert. Auf diesem Punkt insistiert Perroux nicht, verurteilt<br />
ihn als gläubiger Katholik aber scharf. 1 Es scheint, als betrachte er den Nationalsozialismus<br />
als etwas Aufgestülptes, denn er meint das deutsche Volk ganz an<strong>der</strong>s zu<br />
kennen:<br />
Du peuple allemand, nous connaissons la grandeur, la bonté, la soif inextinguible<br />
d’idéal et le désir passionné du Divin. 2<br />
Perroux zeigt also eine entschieden bessere Meinung vom deutschen Wesen als Robert<br />
Pitrou, <strong>der</strong> es des Dunklen und Mystisch-Heidnischen bezichtigt.<br />
Laut Mysyrowicz 3 zeigt Perroux diese Denkweise auch in seinem 1935 veröffentlichten<br />
Buch Les Mythes Hitlériens, das von <strong>Vie</strong> int. allerdings nicht besprochen<br />
wird. Perroux’ ambivalente Haltung gegenüber den Ambivalenzen des Nationalsozialismus<br />
än<strong>der</strong>t sich über den Zeitraum <strong>der</strong> Berichterstattung nicht. Sie zeigt sich<br />
auch wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>ausgabe vom 10. Oktober 1938, die nach dem Münchner<br />
Abkommen vollständig dem Dritten Reich gewidmet ist. Perroux bleibt darin seinem<br />
Konzept von <strong>der</strong> Mehrdeutigkeit des nationalsozialistischen Staates treu, <strong>der</strong> auch<br />
erstrebenswerte Ziele zulasse:<br />
Quiconque montre de l’attachement pour des valeurs humaines, universelles et<br />
éternelles sera éloigné du Troisième Reich par une méfiance profonde à l`égard<br />
d’un ‘mélange de mysticisme et de brutalité’. Quiconque a confiance dans la<br />
vie, dans le jaillissement et la succession de ses formes, se détournera de certains<br />
États démocratiques, ou du moins de quelques-unes de leurs manifestations,<br />
écoeuré par un mélange de pharisaïsme et de platitude. 4<br />
Zwar ist Perroux kein Verfechter des Nationalsozialismus, denn er weist auch auf die<br />
unmenschlichen Seiten des Regimes hin. Er ruft aber seine Landsleute zur Mäßigung<br />
auf. Er rät ihnen, nicht automatisch antideutschen Reaktionen nachzugeben. 5 Und er<br />
empfiehlt ihnen, sich kritisch mit <strong>der</strong> Gegenwart auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Er möchte,<br />
daß die Franzosen verstehen, wie die Ideologie des Nationalsozialismus geartet ist<br />
und warum es ein Münchner Abkommen gegeben hat.<br />
Perroux versucht den Franzosen auch nahezubringen, was für die Deutschen <strong>der</strong> Begriff<br />
„Weltanschauung“ bedeutet:<br />
Par transitions insensibles, on passe de l’idéologie, qui n’exprime qu’une petite<br />
partie de l’être réel des nations dites rationalistes, à la Weltanschauung qui a la<br />
1 <strong>Vie</strong> int., 10.3.1937, S. 231<br />
2 a.a.O.<br />
3 <strong>der</strong>s., a.a.O., S. 132<br />
4 <strong>Vie</strong> int., 10.10.1938, S. 31<br />
5 a.a.O., S. 10<br />
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