Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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stellers Thomas Mann. Sein Bekenntnis zur Sozialdemokratie ist <strong>der</strong> Grund, warum<br />
er von <strong>Vie</strong> int. als linker Schriftsteller eingestuft wird 1 und als solcher im Verlauf <strong>der</strong><br />
30er Jahre kein Gegenstand weiterer Erörterungen mehr ist.<br />
Ein häufig wie<strong>der</strong>kehrendes Thema in dieser Zeit ist die sich in Romanen und Erzählungen<br />
manifestierende ethische Krise breiter Bevölkerungsschichten und die<br />
dadurch ins Wanken geratenen Grundfesten <strong>der</strong> heranwachsenden Jugend. 2 Gründe<br />
für die Depression sieht <strong>Vie</strong> int. in den wirtschaftlichen Faktoren Inflation und Arbeitslosigkeit<br />
3 , in <strong>der</strong> Ablösung des christlichen durch den heidnisch-germanischen<br />
Glauben 4 und in einem <strong>der</strong> Schmach des verlorenen Krieges entstammenden individuellen<br />
Anarchismus und Nihilismus. 5 <strong>Die</strong> materielle Not und moralische Verzweiflung,<br />
in <strong>der</strong> die Menschen <strong>der</strong> Weimarer Zeit lebten, kennzeichnet noch bis in<br />
die 30er Jahre hinein den Inhalt <strong>der</strong> deutschen Literatur.<br />
Zuweilen bleibt <strong>der</strong> Leser im Ungewissen, ob <strong>der</strong> soziale Zustand in Deutschland<br />
angeprangert o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Stil <strong>der</strong> Schriftsteller kritisiert wird. <strong>Die</strong> schlimmsten Abenteuer,<br />
die „Fabian“ stellvertretend für die deutsche Jugend zu bestehen hat, machen<br />
den Franzosen Angst 6 , und daß sich Erich Kästner im „Aufzeichnen von Lastern“<br />
und dem „Zurschaustellen von Sexualität“ gefällt, ist für die katholische Zeitschrift<br />
ein Beispiel „absoluter Unmoral“. 7<br />
<strong>Die</strong> Analysen, denen die französischen Autoren die literarische Produktion in<br />
Deutschland unterwerfen, ergeben ein klar vom politischen Umbruch geprägtes Bild.<br />
<strong>Die</strong> in den frühen 30er Jahren erschienenen Beiträge besprechen schwerpunktmäßig<br />
noch Literatur <strong>der</strong> Weimarer Epoche. Ihr können zu diesem Zeitpunkt nur erste Konsequenzen<br />
<strong>der</strong> Machtergreifung <strong>der</strong> Nationalsozialisten gegenübergestellt werden,<br />
z.B. daß die damals „authentischsten und glänzendsten Repräsentanten des deutschen<br />
Wesens“ (Stefan Zweig, Emil Ludwig, Lion Feuchtwanger) nun die „écrivains maudits“<br />
sind, die - literarisch - „Enterbten des Schicksals“. 8 Weitere einschränkende<br />
Verän<strong>der</strong>ungen werden noch nicht vermutet. Wie sich dann die neue Politik auf<br />
Gattungen und Erzählinhalte auswirkt, erfährt <strong>der</strong> Leser erst ein paar Jahre nach <strong>der</strong><br />
gewaltvollen Etablierung des neuen Regimes im deutschen Literaturbetrieb.<br />
Im Einzelnen stellt sich die Meinung <strong>der</strong> französischen Beobachter zum literarischen<br />
Deutschland so dar:<br />
1934 zeigt Otto Forst de Battaglia rückblickend für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg,<br />
daß die deutsche Literatur von Essay, Satire und politischem Pamphlet gekennzeichnet<br />
wird. 9 Er begründet diese epische Kurzform mit einer aus dem Gleich-<br />
1 <strong>Vie</strong> int., Okt./Nov. 1936, S. 160<br />
2 a.a.O., 10.3.1933, S. 291-294; 10.9.1935, S. 557-558; 10.7.1936, S. 130-139; Okt./Nov. 1936, S.<br />
158-165; vgl. auch hier das Kapitel „Erziehungspolitik“<br />
3 <strong>Vie</strong> int., 10.3.1933, S. 292<br />
4 a.a.O., S. 294<br />
5 a.a.O., Okt./Nov.1936, S. 161<br />
6 a.a.O., 10.3.1933, S. 292<br />
7 <strong>Vie</strong> int., 10.3.1933, S. 291<br />
8 a.a.O., 10.3.1934, S. 343, 344<br />
9 a.a.O., 25.4.1934, S. 330<br />
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