Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ignorance“ 1 zu befreien und sie 2 über die politische Situation dieses Landes zu informieren.<br />
Auf diese Weise kommt er doch noch zur Außenpolitik. Dabei zeigt sich,<br />
daß er zwischen Februar 1937 und September 1938 einen erstaunlichen Meinungsumschwung<br />
vollzieht.<br />
Er tadelt seine Landsleute aus dem „katholisch-konservativen Milieu“ 3 , weil sie<br />
nicht verstehen wollen, daß sich die Tschechoslowakei mit ihrem russischen Bündnis<br />
vom 16. Mai 1935 nur gegen den „pangermanischen Zugriff“ schützen wollte. 4 Das<br />
bedeute keineswegs, daß sie bolschewistisch sei. Aus dieser Annahme heraus vertreten<br />
nämlich in Frankreich die antikommunistischen und deutsch-freundlichen<br />
Rechtskreise den Standpunkt, die Tschechoslowakei sei im Falle eines deutschen<br />
Angriffs preiszugeben. 5<br />
Auf einmal glaubt Tapié, daß die europäische und beson<strong>der</strong>s die französische Sicherheit<br />
in Gefahr geriete, wenn die Sudetendeutschen die tschechische Außenpolitik<br />
mitbestimmen könnten, denn sie seien vom langen Arm Hitlers gelenkt. 6 Wenn es<br />
dem Reich also gelinge, mittels <strong>der</strong> Sudetendeutschen die tschechische Politik zu<br />
beeinflussen, dann würden auch Polen und Ungarn bald ihre Unabhängigkeit verlieren.<br />
Das sieht Tapié vollkommen klar voraus. 7<br />
Seine Ausführungen zeigen Tapié pro-tschechoslowakisch. Der Gedanke, daß die<br />
wirtschaftlich potente Tschechoslowakei in deutsche Hände fallen könnte, macht ihn<br />
„zittern“. 8<br />
Tapié ist durchaus dafür, daß die Sudetendeutschen größeres Mitspracherecht in<br />
Kultur und Verwaltung bekommen 9 ; aber sie sollen nicht die von ihnen gefor<strong>der</strong>te<br />
territoriale Autonomie erhalten, weil das <strong>der</strong> erste Schritt zum Anschluß an das Reich<br />
wäre. 10 Ihm ist wichtig, daß die Tschechoslowakei ein von Tschechen und Slowaken<br />
regierter Staat bleibt. 11 . Er empfiehlt deshalb Frankreich, im eigenen Interesse dem<br />
tschechischen Bündnispartner treu zu bleiben. 12 Das ist ein Appell an die französische<br />
Regierung, die Tschechoslowakei nicht preiszugeben. Ministerpräsident ist Daladier,<br />
<strong>der</strong> vom linken Lager endgültig zum konservativen Bürgertum übergegangen<br />
ist; Georges Bonnet, ebenfalls vom rechten Flügel, ist Außenminister. 13 Im Gegen-<br />
1 <strong>Vie</strong> int., September 1938, S. 211-233<br />
2 in etwas schulmeisterlicher Manier: „... il faut simplifier pour exposer clairement l’histoire“, in:<br />
a.a.O., S. 214<br />
3 a.a.O., S. 228<br />
4 a.a.O., S. 230. Tapiés Begründung für den Vertrag Moskau-Prag, nämlich die Eindämmung deutscher<br />
Osteuropa-Ambitionen ist, in Übereinstimmung mit <strong>der</strong> historischen Forschung. Vgl. zur Internationalisierung<br />
des Sudetenproblems: Dolezel, a.a.O., in: Forndran, a.a.O., S. 266-270<br />
5 Bloch, a.a.O., S. 489<br />
6 <strong>Vie</strong> int., September 1938, S. 231<br />
7 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 232<br />
8 a.a.O., S. 228<br />
9 <strong>Vie</strong> int., 25.2.1937, S. 86-90<br />
10 <strong>Vie</strong> int., September 1938, S. 231<br />
11 a.a.O., S. 233<br />
12 a.a.O.<br />
13 Bloch, a.a.O., S. 485<br />
74