Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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Sommer 1932 fallen und sie bei den Novemberwahlen im Vergleich zum Juliergebnis<br />
14,6% <strong>der</strong> Stimmen verlieren ließ. 1<br />
Über diese Ereignisse geht Delorme zugunsten einer positiven Hervorhebung <strong>der</strong><br />
deutschen Zentrumspartei hinweg. Als ehrenhafteste und vernünftigste aller deutschen<br />
Parteien habe sie Recht, sich von von Papen 2 zu distanzieren und dessen Regieren<br />
per Notverordnungen und den Paragraphen 48 - was er als Willkürherrschaft<br />
auslegt - zu kritisieren. Welche geringe Rolle das Zentrum in Deutschland allerdings<br />
noch spielt, zeigt die Zahl <strong>der</strong> Mandate bei <strong>der</strong> Reichstagswahl vom Juli 1932: Das<br />
Zentrum und die Bayerische Volkspartei erreichen zusammen 10 Sitze, 230 die Nationalsozialisten.<br />
3<br />
Das Jahr 1933. Innenpolitische Umwälzungen und die Reaktion in<br />
Frankreich<br />
Im Februar 1933 setzt A.H.D. Savantier 4 die Machtergreifung Hitlers mit einer Revolution<br />
gleich. 5 Er findet, daß bei den deutschen Nachbarn nichts normal abläuft. In<br />
den letzten Monaten habe je<strong>der</strong> gedacht, die Hitlerpartei sei im Nie<strong>der</strong>gang begriffen,<br />
jetzt aber trage sie den Sieg davon. Savantier erläutert, wie die deutsche Zentrumspartei<br />
zum Erfolg Hitlers beigetragen hat 6 und wie sie sich kurz darauf wie<strong>der</strong> von<br />
ihm distanzierte, als sie merkte, daß Hitler nicht gewillt war, sich an die Verfassung<br />
<strong>der</strong> Weimarer Republik zu halten, son<strong>der</strong>n eine Diktatur anstrebte. 7 Nichts an Hitlers<br />
anfangs gemäßigter und versöhnlicher Haltung habe auf eine Abkehr von <strong>der</strong> Verfassung<br />
hingewiesen. Savantier kommentiert, daß sich das Zentrum zu Recht getäuscht<br />
fühle und deshalb jede Verantwortung in <strong>der</strong> Regierung ablehne. 8<br />
Er bewertet es als höchst ungewöhnlich, daß ein Regierungschef, <strong>der</strong> den Eid auf die<br />
Verfassung einer parlamentarischen Demokratie abgelegt hat, zwei Tage später diese<br />
Verfassung außer Kraft setzt. 9 Man merkt, daß Savantier nicht weiß, was er davon<br />
halten soll. <strong>Die</strong> zurückhaltende Wortwahl läßt erkennen, daß er dem Zentrum Recht<br />
gibt, wenn es sich aus <strong>der</strong> Regierungsverantwortung zurückzieht. Aber die Vorge-<br />
1 Gebhardt, a.a.O., S. 172, 175<br />
2 <strong>Die</strong>ser war mit seiner Ernennung zum Kanzler aus dieser Partei ausgeschieden, vgl. Gebhardt, a.a.O.,<br />
S. 171<br />
3 a.a.O., S. 172<br />
4 Pseudonym für A.-H. Delorme<br />
5 <strong>Vie</strong> int., 25. Februar 1933, S. 87<br />
6 Hier setzt <strong>Vie</strong> int. wie<strong>der</strong> politische Vorkenntnisse beim Leser voraus. Hitler hatte nicht die Mehrheit<br />
im Reichstag. Er konnte nur Kanzler werden, wenn die regierenden Parteien damit einverstanden waren,<br />
und dazu gehörte das Zentrum. „Hitler s’est donc vu obligé de négocier avec le centre“, <strong>Vie</strong> int.,<br />
25.2.1933, S. 90. Es wurde Teil <strong>der</strong> Koalition, des sog. „Nationalen Zusammenschlusses“, die mit<br />
Hitler als Reichskanzler am 20. Januar 1933 an die Regierung kam; vgl. Gebhardt, a.a.O., S. 185.<br />
7 <strong>Vie</strong> int., a.a.O., S. 90<br />
8 a.a.O., S. 92<br />
9 So geschehen am 2. Februar 1933 in einer Radioansprache. Zum Inhalt des „Aufrufes an das deutsche<br />
Volk“, in <strong>der</strong> Hitler u.a. ankündigt, sich über alle verfassungsmäßigen Kontrollbefugnisse hinwegsetzen<br />
zu wollen, vgl. Fest, a.a.O., S. 534, 535.<br />
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