Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
Die Deutschlandberichterstattung der Vie Intellectuelle (1928 - 1940 ...
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ziehen. Zuerst zaghaft geäußert werden diese Worte immer unverhohlener laut, bis<br />
sie förmlich in einen Aufruf nach Freiheit und Gegenwehr übergehen.<br />
Nach Kriegsbeginn verläßt die Zeitschrift ihre christlich-nächstenliebende Linie und<br />
ruft nach Vergeltung. Sie will siegen und Deutschland unschädlich machen. Mit <strong>der</strong><br />
Defensiv-Konzeption <strong>der</strong> französischen Regierung hat sie nichts mehr zu tun. Anfang<br />
<strong>1940</strong> ist das Deutschlandbild <strong>der</strong> <strong>Vie</strong> int. denkbar schlecht. Es ist von Mißtrauen und<br />
Abscheu geprägt.<br />
<strong>Die</strong> vorherrschenden Themen <strong>der</strong> deutschen Innenpolitik sind zu Anfang <strong>der</strong> 30er<br />
Jahre <strong>der</strong> Antiparlamentarismus und <strong>der</strong> erstarkende Nationalismus als Begleiterscheinung<br />
<strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise. <strong>Vie</strong> int. glaubt an die Republik und an den Bedeutungsverlust<br />
<strong>der</strong> Nationalsozialisten. <strong>Die</strong>se werden wegen ihrer Härte und ihres<br />
brutalen Machtwillens kritisiert. Ein Staatsmann wie Stresemann wäre jetzt am<br />
rechten Platz.<br />
<strong>Die</strong> Verelendung in Deutschland belastet auch die <strong>Vie</strong> int. Sie sieht darin eine Gefahr<br />
für Europa und die Zukunft. In ihren Augen erwächst <strong>der</strong> Nazismus dem Massenelend<br />
des Mittelstandes und des Kleinbürgertums. Hitler selbst wird als uninteressantes<br />
Phänomen abgetan. Allerdings löse er in Frankreich Furcht aus, und das gefalle<br />
den Deutschen, so die Zeitschrift. Das ist bisher nur ein diffuses Gefühl, denn<br />
Mitte 1932 gibt es in Frankreich Hitler gegenüber noch keine einheitliche Haltung,<br />
geschweige denn Angst. Das Sinken des nationalsozialistischen Sterns Ende 1932<br />
wird nicht weiter kommentiert o<strong>der</strong> begründet. <strong>Die</strong> deutsche Zentrumspartei erfährt<br />
Lob, weil sie ehrenhaft und vernünftig sei, und von Papen erfährt Kritik wegen seines<br />
Regierens per Notverordnungen.<br />
Nach <strong>der</strong> Machtergreifung ist <strong>Vie</strong> int. verwirrt, weil Hitler auf die Verfassung geschworen<br />
hat, diese aber nach zwei Tagen abschafft. Zusammen mit <strong>der</strong> Zentrumspartei<br />
fühlt sie sich getäuscht. <strong>Vie</strong> int. hat viel Verständnis für die Probleme in<br />
Deutschland. Sie fühlt sich mit den Deutschen eng verbunden. Deswegen hat sie aber<br />
auch Angst, daß die Probleme auf Frankreich übergreifen könnten.<br />
Beruhigt zeigt sie sich, daß sich in Deutschland katholische und an<strong>der</strong>e Friedensorganisationen<br />
dem Kriegsgeist Hitlers entgegenstellen wollen. Nur kommen sie nicht<br />
weit damit, weil Hitler bald jede Opposition verbietet. Für <strong>Vie</strong> int. ist klar, daß die<br />
Deutschen ihre Freiheit opfern. So sehr sie auch die Nationalsozialisten verurteilt, bei<br />
<strong>der</strong> Befürwortung <strong>der</strong> Polizeimaßnahmen Görings gegen Linksradikale und Kommunisten<br />
verrät sie eine gewisse Rechtslastigkeit.<br />
<strong>Vie</strong> int. ist beunruhigt über die Stimmung in Deutschland. Sie glaubt, daß <strong>der</strong> deutsche<br />
Wunsch nach Revision ein Grund ist, bald loszuschlagen. Darüber brechen alte<br />
Vorurteile und Ängste wie<strong>der</strong> auf. <strong>Vie</strong> int. sieht Frankreich als friedlichen, glorreichen<br />
Garten und Deutschland als einen von Krebsgeschwüren zerfressenen Sumpf.<br />
Mit <strong>der</strong> Zurückhaltung <strong>der</strong> Reparationszahlungen schwindet das Vertrauen von <strong>Vie</strong><br />
int. in die Deutschen. Ihre pazifistischen Töne werden im Oktober 1933 leiser.<br />
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